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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

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I.1
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Freud, Sigmund: Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0025

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Die Inzestscheu der Wilden

17

Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der
Wilden und der Neurotiker.
Von SIGM. FREUD.
I.
DIE INZESTSCHEU.

Von allem Anfang an hat die psychoanalytische Forschung auf
Ähnlichkeiten und Analogien ihrer Ergebnisse am Seelenleben
des Einzelwesens mit solchen der Völkerpsychologie hin-
gewiesen. Es geschah dies, wie begreiflich, zuerst nur
schüchtern, in bescheidenem Umfange und ging nicht über das
Gebiet der Märchen und Mythen hinaus. Die Absicht solchen
Ausgreifens war keine andere als die, ihren an sich recht un-
wahrscheinlichen Resultaten durch solche unerwartete Übereinstim^
mungen Glaubwürdigkeit zu schaffen.
In den seither verflossenen anderthalb Jahrzehnten hat die
Psychoanalyse aber Zutrauen zu ihrer Arbeit gewonnen,- die nicht un-
ansehnliche Schar von Forschern, die der Anregung eines einzelnen
gefolgt sind, hat es zu einer befriedigenden Übereinstimmung in
ihren Anschauungen gebracht, und nun scheint der Zeitpunkt
günstig, um der über die Individualpsychologie hinausgreifenden
Arbeit ein neues Ziel zu setzen. Es sollen nicht nur ähnliche Vor-
kommnisse und Zusammenhänge im Seelenleben der Völker auf-
gespürt werden, wie sie durch die Psychoanalyse beim Individuum
ans Licht gezogen wurden, sondern auch der Versuch gewagt
werden, was in der Völkerpsychologie dunkel oder zweifelhaft
geblieben ist, durch die Einsichten der Psychoanalyse aufzuhellen.
Die junge psychoanalytische Wissenschaft will gleichsam zurück-
erstatten, was sie in ihren Anfängen anderen Wissensgebieten zu
danken hatte, und hofft, mehr wiedergeben zu können, als sie
seinerzeit empfing.
Eine Schwierigkeit des Unternehmens liegt in der Qualifi-
kation der Männer, welche sich dieser neuen Aufgabe unterziehen.
Es wäre vergeblich zu warten, bis die Mythenforscher, Religions^
Psychologen, Ethnologen, Linguisten usw. den Anfang machen,
psychoanalytische Denkweisen auf ihr eignes Material anzuwenden.
Die ersten Schritte in all diesen Richtungen müssen durchaus von
jenen unternommen werden, die sich bisher als Psychiater oder
Traumforscher in den Besitz der psychoanalytischen Technik und
ihrer Ergebnisse gesetzt haben. Solche sind aber zunächst Laien auf
anderen Wissensgebieten, und wenn sie mühselig einige Kenntnis
darin erworben haben, Dilettanten oder im besten Falle Auto^
didakten. Ihre Leistungen werden Schwächen und Fehler nicht
vermeiden können, welche der zünftige Forscher, der Fachmann,
mit seiner Beherrschung des Materials und seiner Übung, es zu
handhaben, leicht entdecken und vielleicht mit überlegenem Spott
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Einleitung.
 
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