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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

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I.2
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Kaplan, Leo: Zur Psychologie des Tragischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0140

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132

Leo Kaplan.

Zur Psychologie des Tragischen.
Von Leo KAPLAN.
Einleitende Bemerkungen. — »Der gefesselte Prometheus«. — »Tannhäuser und
der »erotische Dualismus«. — Agamemnon und Baumeister Solneß. — Schluß^
Betrachtungen.
Einleitende Bemerkungen.
%.ie Tragödie birgt in sieb einen merkwürdigen Widerspruch,
i Denn »wir weiden uns an schmerzlichen Kämpfen, an Kämpfen,
-* ** die nicht zum Siege, sondern zum Untergang des Helden
zum LIntergang gerade der Person, die vielleicht unsere stärksten führen,
Sympathien gewann. Fast gewinnt es den Anschein, als sei unsere
Befriedigung um so größer, je trauriger die Vorgänge auf der Bühne*
Wie kommt es nun, daß die Wahrnehmung der tragischen Situation
auf der Bühne für uns mit Lustgefühlen verbunden sein kann ?
Die Aufdeckung des psychischen Mechanismus, der dem geschilderten
Widerspruch zu Grunde liegt, ist das Ziel der vorliegenden
Untersuchung.
Vorher noch einige Bemerkungen. Die Psychoanalyse hat
auf den mannigfachsten Gebieten menschlicher Seelentätigkeit den
Kampf zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die Schicksale dieses
Kampfes und seine Folgen aufgedeckt, und es erwies sich, daß es
immer »unsere Unzufriedenheit mit dieser Welt ist, die uns zwingt,
uns in einer anderen, zweiten Welt zu ergehen«*"'). Jeder Wunsch
hat die Tendenz, sich vollkommen zu realisieren. Unseren Wünschen
stehen aber nicht nur äußere Hindernisse im Wege, sondern häufig
genug auch innerliche Hemmungen religiöser oder ethischer Natur,
machmal geraten sie auch mit dem Selbsterhaltungsinstinkt in Kon-
flickt. Solche »unmoralische« und »peinliche« oder »sdtädliche«
Wünsche werden aus dem Gesammtbewußtsein »verdrängt«, sie
werden »unbewußt«. Den dies bewirkenden und die herrsdtenden
Bewußtseinsinhalte schützenden Vorgang, nennt Freud sehr viel-
sagend die »Zensur«. Lim sich den Weg zur Äußerung zu ver-
schaffen, müssen die verdrängten Wünsche sich irgendwie maskieren,
sie müssen entstellt werden. Es liegt die Vermutung nahe, ob nicht
vielleicht auch die tragisdi wirkende Verwicklung eine solche Maske
und Entstellung sei.
Um die hier kurz skizzierten Gedanken an einem Gebiet un-
bewußter seelischer Tätigkeit zu illustrieren, wollen wir einen
ganz einfachen kleinen Traum betrachten, der von einem mir be^
kannten Herrn geträumt wurde :
»Er spaziert mit seinem Freunde X. <der vor einigen Jahren
* C. Stumpf, »Die Lust am Trauerspiel« in * Philosophische Reden und
Vorträge«.
** W. Steckei, »Dichtung und Neurose« (Bergmann, Wiesbaden 1909),

p. 24.
 
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