Philosophie und Psychoanalyse
519
Philosophie und Psychoanalyse.
(Bemerkungen zu einem Aufsatze des H. Professors Dr. JAMES J, PUTNAM
von der Harvard=Universität, Boston U. S. A.) *.
Von Dr. S. FERENCZI (Budapest).
In einem von edlen Absichten diktierten und mit der Beredsamkeit
ehrlicher Überzeugung verfaßten Aufsatze tritt der hochverdiente
Professor der Harvard^MedicaUSchool mit Wärme dafür ein,
daß die Psychoanalytik, deren Bedeutsamkeit als psychologische und
therapeutische Methode er rückhaltslos anerkennt, in engere Be-
ziehungen zu umfassenderen philosophischen Anschauungen ge-
bracht werde.
Ein großer Teil seiner Ausführungen wird gewiß von allen
Analytikern als richtig anerkannt und befolgt werden. Der Psycho-
loge, der sich zur Aufgabe macht, unsere Kenntnis von der mensch-
lichen Seele zu vertiefen, darf sich der Betrachtung jener, von
der Menschheit mit Recht hochgeschätzten Systeme, in denen er^
habene Geister ihre letzten Ansichten über das Wesen und den
Sinn der Welt zusammenfaßten, keinesfalls verschließen,- und wenn
es der Analyse gelungen ist, selbst in den lange Zeit hindurch
geringgeschätzten Produktionen der Volksseele: in den Mythen und
Märchen, ewige — allerdings symbolisch verkleidete — psychologische
Wahrheiten zu entdecken, so darf man sicher hoffen, daß ihr auch
aus dem Studium der Philosophie und ihrer Geschichte neue Ge-
sichtspunkte, neue Erkenntnisse erwachsen werden. Auch dem wird
kein Psychoanalytiker widersprechen, daß »keine Forschung gut ge-
deihen kann, ohne daß man ihre naturgemäßen Beziehungen zu
anderen Forschungsarten sorgfältig in Betracht zieht«. Die Psycho^
analyse ist nicht so unbescheiden, alles mit den eigenen Mitteln er-
klären zu wollen, und obzwar wir noch weit davon entfernt sind,
alles erschöpft zu haben, was analytisch erklärt werden kann, so
ahnen wir doch schon, wo etwa die Grenzen unserer Wissenschaft
gesteckt sind und wo man die Erklärung der Vorgänge anderen
Disziplinen <z. B. der Physik, Chemie und Biologie) wird über-
lassen müssen.
Auch, »daß wir mehr wissen, als wir ausdrücken können«,
daß »das Erlernen nichts anderes ist als eine Entdeckungsreise in
die eigene Seele«, daß es die Pflicht der Psychoanalytiker ist, »die
Ahnungen und Regungen« (darunter auch die religiösen) »soweit
wie möglich, zu entdecken und näher zu prüfen« muß jeder Ana-
lytiker, der einmal mit dem Vorbewußten, d. h. mit der produktiven
Kambiumschicht der Seele, in der jeder geistige Fortschritt vorbei
reitet wird, Bekanntschaft machte, vollinhaltlich anerkennen. Über^
* »Über die Bedeutung philosophischer Anschauungen und Ausbildung für
die weitere Entwicklung der psychoanalytischen Bewegung«. (»Imago«, I. Jahrg.,
zweites Heft),
519
Philosophie und Psychoanalyse.
(Bemerkungen zu einem Aufsatze des H. Professors Dr. JAMES J, PUTNAM
von der Harvard=Universität, Boston U. S. A.) *.
Von Dr. S. FERENCZI (Budapest).
In einem von edlen Absichten diktierten und mit der Beredsamkeit
ehrlicher Überzeugung verfaßten Aufsatze tritt der hochverdiente
Professor der Harvard^MedicaUSchool mit Wärme dafür ein,
daß die Psychoanalytik, deren Bedeutsamkeit als psychologische und
therapeutische Methode er rückhaltslos anerkennt, in engere Be-
ziehungen zu umfassenderen philosophischen Anschauungen ge-
bracht werde.
Ein großer Teil seiner Ausführungen wird gewiß von allen
Analytikern als richtig anerkannt und befolgt werden. Der Psycho-
loge, der sich zur Aufgabe macht, unsere Kenntnis von der mensch-
lichen Seele zu vertiefen, darf sich der Betrachtung jener, von
der Menschheit mit Recht hochgeschätzten Systeme, in denen er^
habene Geister ihre letzten Ansichten über das Wesen und den
Sinn der Welt zusammenfaßten, keinesfalls verschließen,- und wenn
es der Analyse gelungen ist, selbst in den lange Zeit hindurch
geringgeschätzten Produktionen der Volksseele: in den Mythen und
Märchen, ewige — allerdings symbolisch verkleidete — psychologische
Wahrheiten zu entdecken, so darf man sicher hoffen, daß ihr auch
aus dem Studium der Philosophie und ihrer Geschichte neue Ge-
sichtspunkte, neue Erkenntnisse erwachsen werden. Auch dem wird
kein Psychoanalytiker widersprechen, daß »keine Forschung gut ge-
deihen kann, ohne daß man ihre naturgemäßen Beziehungen zu
anderen Forschungsarten sorgfältig in Betracht zieht«. Die Psycho^
analyse ist nicht so unbescheiden, alles mit den eigenen Mitteln er-
klären zu wollen, und obzwar wir noch weit davon entfernt sind,
alles erschöpft zu haben, was analytisch erklärt werden kann, so
ahnen wir doch schon, wo etwa die Grenzen unserer Wissenschaft
gesteckt sind und wo man die Erklärung der Vorgänge anderen
Disziplinen <z. B. der Physik, Chemie und Biologie) wird über-
lassen müssen.
Auch, »daß wir mehr wissen, als wir ausdrücken können«,
daß »das Erlernen nichts anderes ist als eine Entdeckungsreise in
die eigene Seele«, daß es die Pflicht der Psychoanalytiker ist, »die
Ahnungen und Regungen« (darunter auch die religiösen) »soweit
wie möglich, zu entdecken und näher zu prüfen« muß jeder Ana-
lytiker, der einmal mit dem Vorbewußten, d. h. mit der produktiven
Kambiumschicht der Seele, in der jeder geistige Fortschritt vorbei
reitet wird, Bekanntschaft machte, vollinhaltlich anerkennen. Über^
* »Über die Bedeutung philosophischer Anschauungen und Ausbildung für
die weitere Entwicklung der psychoanalytischen Bewegung«. (»Imago«, I. Jahrg.,
zweites Heft),