Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

DOI Heft:
I.3
DOI Artikel:
Ferenczi, Sándor: Symbolische Darstellung des Lust- und Realitätsprinzips im Ödipus-Mythos: (Gedeutet durch Schopenhauer)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0284

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
276

Dr. S. Ferenczi

Symbolische Darstellung des Lust= und Realitäts-
prinzips im Ödipus^Mythos.
{Gedeutet durch Schopenhauer.)
Von Dr. S. FERENCZI, Budapest.
Yedes Werk hat seinen Ursprung in einem glücklichen Einfall, und
I dieser gibt die Wollust der Konzeption: die Geburt aber, die
| Ausführung ist, wenigstens bei mir, nicht ohne Pein: denn als-
' dann stehe ich vor meinem eigenen Geist: wie ein unerbittlicher
Richter vor einem Gefangenen, der auf der Folter liegt, und lasse
ihn antworten, bis nichts mehr zu fragen übrig ist. Einzig aus dem
Mangel an jener Redlichkeit scheinen mir fast alle Irrtümer und
unsäglichen Verkehrtheiten entsprungen zu sein, davon die Theorien
und Philosophien so voll sind. Man fand die Wahrheit nicht, bloß
darum, daß man sie nicht suchte, sondern statt ihrer immer nur
irgendeine vorgefaßte Meinung wiederzufinden beabsichtigte, oder
wenigstens eine Lieblingsidee durchaus nicht verletzen wollte, zu
diesem Zwecke aber Winkelzüge gegen andere und sich selbst an-
wenden mußte. Der Mut, keine Frage auf dem Herzen
zu behalten, ist es, der den Philosophen macht.
Dieser muß dem Ödipus des Sophokles gleichen,
der, Aufklärung über sein eigenes schreckliches
Schicksal suchend, rastlos weiter forscht, selbst
wenn er schon ahndet, daß sich aus den Antworten
das Entsetzlichste für ihn ergeben wird. Aber da
tragen die meisten die Jokaste in sich, welche den
Ödipus um aller Götter willen bittet, nicht weiter
zu forschen: und sie gaben ihr nach, und darum
steht es auch mit der Philosophie noch immer
wie es steht.® Wie Odin am Höllentor die alte Seherin in ihrem
Grabe immer weiter ausfrägt, ihres Sträubens und Weigerns und
Bittens um Ruhe ohngeachtet, so muß der Philosoph unerbittlich sieb
selbst ausfragen. Dieser philosophische Mut aber, der eins ist mit
der Treue und Redlichkeit des Forschens, die Sie mir zuerkennen,
entspringt nicht aus der Reflexion, läßt sich nicht durch Vorsätze
erzwingen, sondern ist angeborene Richtung des Geistes . . . «
[Aus einem Briefe Schopenhauers an Goethe, nach
Übersendung des Manuskripts »Uber das Sehen und die Farben«,-
datiert vom 11. November 1815.]
Die tiefe und gedrängte Weisheit dieser Sätze verdient etwas
auseinandergelegt und mit den Ergebnissen der Psychoanalyse zu-
sammengehalten zu werden.
Was Sdtopenhauer über die zur wissenschaftlidren (philosophi-
schen) Produktion erforderliche psychische Einstellung sagt, klingt wie

Vom Ref. gesperrt.
 
Annotationen