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H. v. Hug-Hellmuth
Über Farbenhören.
Ein Versuch, das Phänomen auf Grund der psychoanalytischen Methode
zu erklären.
Von Frau Dr. H. v. HUG-HELLMUTH, WIEN.
Seit zirka 50 Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft gelegentlich
mit dem Phänomen des Farbenhörens, dessen Erforschung
nicht so sehr die Seltenheit des Vorkommens vielfach er-
Schwert, als die zumeist unzulänglichen Berichte der mit ihm Be-
hafteten, zumal unter den Laien auch heute noch die Ansicht
besteht, es gehöre ins Kapitel der Schrullen und »Narreteien«, die
nur umso störender hervortreten, je größere Beachtung ihnen zu-
gewendet wird. Raten doch Forscher wie Benedikt dringend davon
ab, sich in dieses Problem zu vertiefen, da solche Betätigung zur
Hypochondrie führe, lind es bleibt keinem Farbenhörer erspart,
einem ungläubigen oder höhnischen Lächeln zu begegnen, wenn er,
sei es im Kreise der Familie oder der Freunde, von den
Synästhesien berichtet, die ihm Geschehnisse oft lustvoll betonen,
manchmal auch mit verstärkter Unlust zum Bewußtsein bringen.
Die skeptische Aufnahme solcher Aussagen lassen den mit dieser
Bewußtseins-Erscheinung Behafteten bald verstummen, ohne daß
sie natürlich deshalb schwände. Insbesondere lieben es Eltern, mit
ihrer ganzen Autorität einer solchen »Hypernervosität« ihrer Kinder,
in der sie ein ihnen unerklärliches Abweichen vom guten Schlage
ihrer Familie erblidren, entgegenzutreten, und übersehen, daß hier
die Nichtbeachtung ebenso wenig die beabsichtigte Wirkung
versagt, wie das vorsätzliche Nichtsehen sexueller Äußerungen in
zartem Kindesalter diese erstickt. Man schafft fatale Regungen der
kindlichen Seele nicht aus der Welt, indem man ihr Bestehen
leugnet oder sie mit Prügeln beantwortet, man zwingt sie höchstens,
sich für den Augenblidc ängstlich zu verbergen, um vielleicht zu
späterem Zeitpunkte als schwere psychische Erkrankung hervor-
zubrechen.
Unter Farbenhören oder chromatischer Synopsie* ** verstehen
wir die zwangs mäßige, mehr oder minder als solche
empfundene Verknüpfung von Tönen un d Ge-
räuschen mit Farbenempfindungen/ es steht unter den
Synästhesien obenan. Seltener findet sich die reziproke Erscheinung,
daß nämlich Farbeneindrtidce Tonempfindungen bedingen. Endlich
gibt es Fälle von optischen und akustischen Synästhesien®*, die ge-
bunden sind an Geruchs-, Geschmadcs oder Hautempfindungen.
Alle Arten der optischen Synästhesie, also jene Fälle, in denen
* Auch Pseudochromästhesie, Colour-Hearing, Audition Coloree genannt.
** Auch als sekundäre Sinnesempfindungen, Doppelempfindungen, Sekundär-
Vorstellungen bezeichnet, dem theoretischen Standpunkte der einzelnen Forscher ent-
sprechend.
H. v. Hug-Hellmuth
Über Farbenhören.
Ein Versuch, das Phänomen auf Grund der psychoanalytischen Methode
zu erklären.
Von Frau Dr. H. v. HUG-HELLMUTH, WIEN.
Seit zirka 50 Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft gelegentlich
mit dem Phänomen des Farbenhörens, dessen Erforschung
nicht so sehr die Seltenheit des Vorkommens vielfach er-
Schwert, als die zumeist unzulänglichen Berichte der mit ihm Be-
hafteten, zumal unter den Laien auch heute noch die Ansicht
besteht, es gehöre ins Kapitel der Schrullen und »Narreteien«, die
nur umso störender hervortreten, je größere Beachtung ihnen zu-
gewendet wird. Raten doch Forscher wie Benedikt dringend davon
ab, sich in dieses Problem zu vertiefen, da solche Betätigung zur
Hypochondrie führe, lind es bleibt keinem Farbenhörer erspart,
einem ungläubigen oder höhnischen Lächeln zu begegnen, wenn er,
sei es im Kreise der Familie oder der Freunde, von den
Synästhesien berichtet, die ihm Geschehnisse oft lustvoll betonen,
manchmal auch mit verstärkter Unlust zum Bewußtsein bringen.
Die skeptische Aufnahme solcher Aussagen lassen den mit dieser
Bewußtseins-Erscheinung Behafteten bald verstummen, ohne daß
sie natürlich deshalb schwände. Insbesondere lieben es Eltern, mit
ihrer ganzen Autorität einer solchen »Hypernervosität« ihrer Kinder,
in der sie ein ihnen unerklärliches Abweichen vom guten Schlage
ihrer Familie erblidren, entgegenzutreten, und übersehen, daß hier
die Nichtbeachtung ebenso wenig die beabsichtigte Wirkung
versagt, wie das vorsätzliche Nichtsehen sexueller Äußerungen in
zartem Kindesalter diese erstickt. Man schafft fatale Regungen der
kindlichen Seele nicht aus der Welt, indem man ihr Bestehen
leugnet oder sie mit Prügeln beantwortet, man zwingt sie höchstens,
sich für den Augenblidc ängstlich zu verbergen, um vielleicht zu
späterem Zeitpunkte als schwere psychische Erkrankung hervor-
zubrechen.
Unter Farbenhören oder chromatischer Synopsie* ** verstehen
wir die zwangs mäßige, mehr oder minder als solche
empfundene Verknüpfung von Tönen un d Ge-
räuschen mit Farbenempfindungen/ es steht unter den
Synästhesien obenan. Seltener findet sich die reziproke Erscheinung,
daß nämlich Farbeneindrtidce Tonempfindungen bedingen. Endlich
gibt es Fälle von optischen und akustischen Synästhesien®*, die ge-
bunden sind an Geruchs-, Geschmadcs oder Hautempfindungen.
Alle Arten der optischen Synästhesie, also jene Fälle, in denen
* Auch Pseudochromästhesie, Colour-Hearing, Audition Coloree genannt.
** Auch als sekundäre Sinnesempfindungen, Doppelempfindungen, Sekundär-
Vorstellungen bezeichnet, dem theoretischen Standpunkte der einzelnen Forscher ent-
sprechend.