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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

DOI issue:
I.3
DOI article:
Freud, Sigmund: Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und Neurotiker, [2]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0221

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IMAGO
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSyCHCN
ANALYSE AUF DIE GEISTES WISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR S. FREUD
T Q SCHRIFTLEITUNG: 1Q10
I- o. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS MiZ

Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der
Wilden und der Neurotiker.
Von SIGM. FREUD.
II.
Das Tabu und die Ambivalenz der Gefühls-
regungen.
Tabu ist ein polynesisches Wort, dessen Übersetzung uns
Schwierigkeiten bereitet, weil wir den damit bezeichneten Be^
griff nicht mehr besitzen. Den alten Römern war er noch ge-
läufig,- ihr sacer war dasselbe wie das Tabu der Polynesier.
Auch das ayo? der Griechen, das Kodausch der Hebräer muß
das nämliche bedeutet haben, was die Polynesier durch ihr Tabu,
viele Völker in Amerika, Afrika (Madagaskar), Nord- und Zentral-
Asien durch analoge Bezeichnungen ausdrticken.
Uns geht die Bedeutung des Tabu nach zwei entgegenge-
setzten Richtungen auseinander. Es heißt uns einerseits: heilig, ge-
weiht, anderseits: unheimlich, gefährlich, verboten, unrein. Der
Gegensatz von Tabu heißt im Polynesisdhen noa = gewöhnlich,
allgemein zugänglich. Somit haftet am Tabu etwas wie der Begriff
einer Reserve, das Tabu äußert sich auch wesentlich in Verboten
und Einschränkungen. Unsere Zusammensetzung »heilige Scheu«
würde sich oft mit dem Sinn des Tabu decken.
Die Tabubeschränkungen sind etwas anderes als die religiösen
oder die moralischen Verbote. Sie werden nicht auf das Gebot
eines Gottes zurückgeführt, sondern verbieten sich eigentlich von
selbst,- von den Moralverboten scheidet sie das Fehlen der Ein^
reihung in ein System, welches ganz allgemein Enthaltungen für
notwendig erklärt und diese Notwendigkeit auch begründet. Die
Tabuverbote entbehren jeder Begründung,- sie sind unbekannter
Herkunft,- für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständ-
lich, die unter ihrer Herrschaft stehen.

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