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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

DOI issue:
I.3
DOI article:
Hug-Hellmuth, Hermine von: Über Farbenhören: ein Versuch, das Phänomen auf Grund der psycho-analytischen Methode zu erklären
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0265

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Über Farbenhören

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unbeantwortet bleiben, auf den Grund zu kommen suchen, oder ist es der
»guten Erziehung« gelungen, das Kind gewisse Gebiete als anstößig
betrachten zu lehren, so daß es jede Äußerung der Wißbegierde
vor den Eltern unterdrückt, so bleiben doch solche Eindrücke haften,
ja, in letzterem Falle machen sie sich so breit, daß ihre Dauerver-
knüpfung mit anderen harmlosen Erlebnissen besiegelt ist. Ehe
noch der sexuelle Forschungstrieb sich der Bedeutung der roten
Farbe zuwendet, sind es vor allem die Farben der Exkrete, die
des Kindes Aufmerksamkeit erregen. Die urethrale und noch
viel mehr die anale Zone sind dem kleinsten Kinde schon eine
unerschöpfliche Quelle sexueller Lust und es ist ganz natürlich, daß
die dabei in Betracht kommenden Farben — man beobachte nur,
mit welchem Wohlgefallen Kinder sich tatsächlich dieser Betrachtung
widmen — für zum Farbenhören konstitutionell Disponierte zu
Assoziationen besonders geeignet sind. Als Kehrseite dieser jugend-
lichen Vorliebe findet sich dann häufig bei Erwachsenen ein offen-
kundiger Abscheu gegen Braun und gewisse Nuancen des Gelb,
nicht selten mit dem ausdrüddichen Beifügen, »es seien ekelhafte
Farben«. Die psychoanalytische Forschung lehrt uns aber, daß
späterem heftigen Ekel nichts anderes als infantile Sexuallust zu-
grunde liegt, welche dann durch Sitte und Herkommen diese In-
version erfahren hat. In den tabellarischen Zusammenstellungen von
Bleuler und Lehmann finden wir bezeichnenderweise gerade
dem Braun, Gelb, Grün <den Farben der Defäkationsprodukte)
wiederholt den Zusatz »s c h m u t z i g« beigefügt, was doch wieder
deutlich auf die genannten Gebiete weist.
Es wird von den Forschern, die sich mit den Synopsien be-
schäftigten, immer wieder betont, daß das Phänomen deshalb so
schwierig zu erklären sei, weil in so vielen, ja fast in den meisten
Fällen keine Erinnerungsspuren an das Zustandekommen der
Synopsien zu finden seien, da diese ja in der frühesten Kindheit
begründet wurden. Dies ist insoweit richtig, als bis vor zirka einem
Jahrzehnt kein Weg existierte, der ein Schürfen in so tiefe Regionen
des Seelenlebens gestattet hätte. Freud aber hat uns in der psycho-
analytischen Methode das Mittel geschenkt, mit dessen Hilfe längst
Vergessenes, Verdrängtes in dem Bewußtsein wieder geweckt wird
und Erinnerungen bis zum zweiten Lebensjahre zurück wachruft.
Lind so erscheinen gerade jene Fälle von Farbenhören, die in den
Berichten als »ganz unerklärlich« bezeichnet werden, demjenigen, der
der modernen Richtung der Psychologie folgt, häufig recht klar und
durchsiditig. Allerdings geht auch Hennig bei der Erklärung seiner
und seiner Gesdiwister Synopsien an der Hand von Tagebuch-
blättern seiner Mutter auf früheste Jugenderinnerungen zurück, aber
nirgends gestattet er dem Leser einen Einblidc in Erlebnisse, die
allein dem Kinde so lustvoll betont sind, daß sie Dauerverknüp-
fungen schafften, in das sexuelle und erotische Leben des Kindes.
Er erzählt von zwei privilegierten Assoziationen, die seinem
 
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