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Herbert Silberer
Tafel speisen lassen und soll ihn dann gar in ihr Kämmerlein tragen.
Sie fürchtet sich, mit dem kalten Frosch, den sie sich kaum anzu-
rühren getraut, in ihrem Beuchen zu schlafen. Vom erzürnten Vater
gescholten, packt sie das Tier widerwillig mit zwei Fingern, trägt
es in ihr Kämmerlein hinauf und setzt es in eine Ecke, Wie sie
aber im Bette liegt, verlangt der Frosch auch ins Bett gehoben zu
werden. Da wird die Königstochter zornig, holt ihn herauf und
wirft ihn aus allen Kräften wider die Wand. Was herabfällt, ist
aber kein Frosch, sondern ein Königssohn, der ihr lieber Gemahl wird.«
R i k 1 i n s Deutung zeigt uns dieses Märchen als eine mehr
oder weniger verschleierte sexuelle Phantasie,- ihr Ausgang ist die
Erfüllung eines erotischen Wunsches, und alles, was vorhergeht,
bezieht sich auf die Entwicklung des sexuellen Befriedigungserleb^
nisses. In der Märchenhandlung ist nämlich, wie R i k 1 i n dartut,
der Übergang des sexuellen Ekels in Liebe dramatisiert. Deutlich
ist hier »die ursprüngliche sexuelle Abneigung und Sprödigkeit des
Mädchens, das Unheimliche, die Scheu vor der rohen Sexualität,
dem Penis <der dem unheimlichen Frosch mit dem dicken
Kopfe verglichen wird), dargestellt. Daß damit <das heißt mit der
Abneigung und Angst) bereits ein sexueller Wunsch vorhanden ist,
wissen wir ja. Die Gestalt des verwunschenen Prinzen {Schlange,
Frosch, Bär etc.) . . . stellt das Sexuell-Unheimliche, Ekelhafte dar.
Statt daß das Märchen die nun folgende Veränderung in der Heldin
schildert, projiziert sie sie auf den Wunschgegenstand. Er wird der
Heldin angenehm, also tritt eine Verwandlung ein, von der unan=-
genehmen in die angenehme Gestalt, von der ekelhaften Tiergestalt
in die des schönen Prinzen.«
Man könnte diese Märchendeutung für gewagt halten, wenn
nicht die Phantasiebildungen bei gewissen P s y-
chosen und häufig auch Träume frappant ähnliche
M otive aufwiesen, welche bei eingehender Analyse
ihre sexuellen W urzeln zeigen. Ein sehr hübsches Beispiel
der Tierverwandlung im Traum — dasselbe Motiv wie im Märchen
vom Froschkönig — ist mir kürzlich untergekommen.
Mit einer weiblichen Versuchsperson, die wir Lea nennen
wellen, stellte ich lekanoskopische Experimente* an und ließ mir
auch ihre Träume mitteilen. Einer derselben lautete folgendermaßen:
Traum: »Ich <d. i. Lea) war zu Hause in meinem Zimmer.
D i e M au er war durchbrochen, so daß Küche und Zimmer
in einem waren. Ich hatte einen Gazeschleier auf dem bloßen Körper
um. Ich habe etwas gebügelt. Ein Hund war neben mir. Er
machte sich an mich heran. Ich sagte: ,g eh" fort, ich
mag dich nicht!7 Er schien fertzugehen,- als ich aber nicht
Acht gab, stellte er sich unter mich. . . {und schob seine
® Über diese Experimente, die etwas dem »Krystallsehen« Verwandtes sind,
kann man Genaueres aus meiner diesbezüglichen Arbeit im »Zentralblatt für
Psydioanalyse« ersehen. Jahrgang 1912. Wiesbaden. <J. F. Bergmann.)
Herbert Silberer
Tafel speisen lassen und soll ihn dann gar in ihr Kämmerlein tragen.
Sie fürchtet sich, mit dem kalten Frosch, den sie sich kaum anzu-
rühren getraut, in ihrem Beuchen zu schlafen. Vom erzürnten Vater
gescholten, packt sie das Tier widerwillig mit zwei Fingern, trägt
es in ihr Kämmerlein hinauf und setzt es in eine Ecke, Wie sie
aber im Bette liegt, verlangt der Frosch auch ins Bett gehoben zu
werden. Da wird die Königstochter zornig, holt ihn herauf und
wirft ihn aus allen Kräften wider die Wand. Was herabfällt, ist
aber kein Frosch, sondern ein Königssohn, der ihr lieber Gemahl wird.«
R i k 1 i n s Deutung zeigt uns dieses Märchen als eine mehr
oder weniger verschleierte sexuelle Phantasie,- ihr Ausgang ist die
Erfüllung eines erotischen Wunsches, und alles, was vorhergeht,
bezieht sich auf die Entwicklung des sexuellen Befriedigungserleb^
nisses. In der Märchenhandlung ist nämlich, wie R i k 1 i n dartut,
der Übergang des sexuellen Ekels in Liebe dramatisiert. Deutlich
ist hier »die ursprüngliche sexuelle Abneigung und Sprödigkeit des
Mädchens, das Unheimliche, die Scheu vor der rohen Sexualität,
dem Penis <der dem unheimlichen Frosch mit dem dicken
Kopfe verglichen wird), dargestellt. Daß damit <das heißt mit der
Abneigung und Angst) bereits ein sexueller Wunsch vorhanden ist,
wissen wir ja. Die Gestalt des verwunschenen Prinzen {Schlange,
Frosch, Bär etc.) . . . stellt das Sexuell-Unheimliche, Ekelhafte dar.
Statt daß das Märchen die nun folgende Veränderung in der Heldin
schildert, projiziert sie sie auf den Wunschgegenstand. Er wird der
Heldin angenehm, also tritt eine Verwandlung ein, von der unan=-
genehmen in die angenehme Gestalt, von der ekelhaften Tiergestalt
in die des schönen Prinzen.«
Man könnte diese Märchendeutung für gewagt halten, wenn
nicht die Phantasiebildungen bei gewissen P s y-
chosen und häufig auch Träume frappant ähnliche
M otive aufwiesen, welche bei eingehender Analyse
ihre sexuellen W urzeln zeigen. Ein sehr hübsches Beispiel
der Tierverwandlung im Traum — dasselbe Motiv wie im Märchen
vom Froschkönig — ist mir kürzlich untergekommen.
Mit einer weiblichen Versuchsperson, die wir Lea nennen
wellen, stellte ich lekanoskopische Experimente* an und ließ mir
auch ihre Träume mitteilen. Einer derselben lautete folgendermaßen:
Traum: »Ich <d. i. Lea) war zu Hause in meinem Zimmer.
D i e M au er war durchbrochen, so daß Küche und Zimmer
in einem waren. Ich hatte einen Gazeschleier auf dem bloßen Körper
um. Ich habe etwas gebügelt. Ein Hund war neben mir. Er
machte sich an mich heran. Ich sagte: ,g eh" fort, ich
mag dich nicht!7 Er schien fertzugehen,- als ich aber nicht
Acht gab, stellte er sich unter mich. . . {und schob seine
® Über diese Experimente, die etwas dem »Krystallsehen« Verwandtes sind,
kann man Genaueres aus meiner diesbezüglichen Arbeit im »Zentralblatt für
Psydioanalyse« ersehen. Jahrgang 1912. Wiesbaden. <J. F. Bergmann.)