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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 9.1923

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Heft 1
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K., E.: Phallusprozessionen von heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.28544#0137

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PHALLUSPROZESSIONEN VON HEUTE

In den Bräuchen, die sich besonders imWestdeutschland für den St. Martinstag
(11. November) erhalten haben, ist deutlich die ursprüngliche Bedeutung der
Feierlichkeiten zu erkennen. Am Vorabend oder am Martinstag selbst ziehen
Scharen von Kindern von Haus zu Haus und tragen Lichter in ausgehöhlten
Rüben, Gurken und Kürbissen. Besonders Rüben und Gurken sind leicht erkenn-
bare Phallussymbole. Die Lieder, die hierbei gesungen werden, machen sie
noch eindeutiger. In der Koblenzer und Andernacher Gegend singt man:
Hei Sante Marte
Dat war ein braver Mann
Der schlog sind Frau (seine Frau) met gerte
Schlog se met der Rohde
Do fink sie an zo blöde.
In diesen Versen liegt der Hinweis auf den Phallus (Gerte, Rute) und die
durch ihn erfolgende Zerstörung (Defloration). Ein holländisches Lied preist
Sinte (heilig) Marten: hog in de Lucht, hog in de wind — das is Sinte Martins
kind — und nähert sich damit dem Gebiet der Flugträume, die oft Erektionen
verhüllen.
Häufig genug wird in den Liedern der Mittelpunkt der Feier als bedürftiger
Empfänger dargestellt. In Flandern und Utrecht singt man:
Stookt vyer (Feuer) mackt vyer — Sinte Marten kommt hier
Met syne bloote armen: Hy sonde hem geerne warmen.
Ähnlich in Leyden:
Sinte Marten is zoo koud (kalt)
Geef ni een turfjen (Torf) of een hout (Holz)
Om mij wat te warremen
Met mijn blanken arremen.
 
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