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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 9.1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.28544#0515

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BÜCHER

H. PRINZHORN: Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie
und Psychopathologie der Gestaltung. Verlag von Julius Springer, Berlin
2. Aufl. 192g. Fr. 48.—.
Daß ein so groß angelegtes, kostspieliges Werk schon nach Jahresfrist eine Neuauflage
erlebt, ist ein erfreuliches Zeichen in dunkler Zeit. Verfasser und Verleger haben diese
Auszeichnung reichlich verdient. Die wissenschaftliche Leistung des Verfassers flößt durch-
wegs Achtung ein, wenn sie auch darauf verzichtet, in die Tiefe zu dringen, und der Ver-
lag hat die Untersuchung einer Ausstattung gewürdigt, wie sie gewöhnlich nur Pracht-
werken zuteil wird. Es ist nicht verwunderlich, daß das Buch sich das Interesse nicht
nur der Psychologen und Psychiater, sondern auch der Kunstfreunde, ja der gebildeten
Welt überhaupt eroberte.
Welch ein Umschwung der Auffassung und Wertung! Bis vor kurzem lag die Bildnerei
der Geisteskranken jenseits des tieferen Verständnisses. Mitleidig lächelnd deutete man
auf ihre oft so bizarren Gegenstände, ihren Mangel an innerer Folgerichtigkeit, ihre Ent-
fernung von der Wirklichkeit, ihre traumähnliche Verworrenheit, ihre kindlichen Aus-
drucksmittel, ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber der künstlerischen Überlieferung und
anderer Merkmale, die man samt und sonders als Zeichen geistigen Verfalles deutete und
der Mißachtung preisgab. Und nun führt Prinzhom den Nachweis, daß in der angeblich so
minderwertigen Produktion der Geisteskranken oft schöpferische Kräfte von hohem Range
sich betätigen.
Die von Sigmund Freud begründete Psychoanalyse führte bereits in die Nähe dieser
Betrachtungsweise. Liebevoll ging sie dem tieferen Sinne des vom Geisteskranken und
Neurotiker geschaffenen scheinbaren Unsinns nach und fand ihn in den oft so grotesk und
toll aussehenden Wahnideen, Halluzinationen, Zwangsvorstellungen, neurotischen Körper-
symptomen und anderer Kundgebungen des Unbewußten. Wo' die alte, materialistisch
orientierte Psychopathologie nur Zusammenbruch und Verwüstung gesehen und mit dem
Hinweis auf die Entartung der Hirnzellen alles gesagt hatte, was ihr auf dem Herzen lag,
suchte die Analyse sorgfältig die verborgenen Züge des unter den schwierigsten Verhält-
nissen um seine Existenz ringenden Geistes auf.
Bei Prinzhom ist jedoch die Problemstellung eine ganz andere geworden. Dem Psycho-
analytiker kam es darauf an, die Entstehung der einzelnen Gebilde zu erklären, die in
ihnen waltenden Gesetze zu erfassen, die biologische Notwendigkeit solcher Leistungen
 
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