Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 9.1923

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Hitschmann, Eduard: Zum Tagträumen der Dichter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28544#0511

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUM TAGTRÄUMEN DER DICHTER
Von Dr. EDUARD HITSCHMANN
In meinem Aufsatz „Zum Werden des Romandichters" (Imago, I. Jahrgang,
1912) konnte ich am Beispiel des Romanciers Jakob Wassermann die von
Freud festgestellte Bedeutung kindlichen Tagträumens als Vorstufe epischen
Dichtens bestätigen. In seinem viel Autobiographisches enthaltenden Büchlein
„Mein Weg als Deutscher und Jude" (1912) berichtet dieser Dichter in überaus
charakteristischer Weise von seinem intensiven jugendlichen Tagträumen, das
fast die Form eines Doppelbewußtseins annahm. Es heißt dort:
„Ich war sehr naiv in meiner Abhängigkeit von Traum und Vision. Vision
darf ich es wohl nennen, da sich mir unerlebte Zustände, unwahrnehmbare
Dinge und Figuren in Greifbarkeit zeigten. Im Alter zwischen zehn und zwanzig
Jahren lebte ich in beständigem Rausch, in einer Feinheit oft, die den Mit-
mirgehenden und -seienden bisweilen nur eine empfindungslose Hülle ließ. Es
ist mir später berichtet worden, daß man mich anschreien mußte, um mich als
Wachenden zu wecken, Ich hatte Anfälle von Verzückung, von wilder, stiller
Verlorenheit, und in der Regel war die Abtrennung so gewaltsam und jäh, daß
die Verbindungen rissen, und daß ich wie gespalten blieb, auch ohne Wissen,
was dort mit mir gesehen war. In beiden Sphären lebte ich mit gespannter Auf-
merksamkeit, wie überhaupt Aufmerksamkeit ein Grundzug meines Wesens
ist, aber es waren keine Brücken da; ich konnte hier völlig nüchtern, dort völlig
außer mir sein, auch umgekehrt, und es fehlte dabei alle Mitteilung, alle Bot-
schaft. Das erhielt mich in einer außerordentlichen, mich quälenden und er-
regenden, für die Menschen um mich meistunverständlichen Spannung. Staunen
und Verzweiflung waren die Gemütsbewegungen, die mich vornehmlich be-
herrschten; Staunen über Gesehenes, Geschautes, Empfundenes; Verzweiflung
darüber, daß es nicht mitteilbar war. Vermutlich war meine Verfassung die:

32'
 
Annotationen