Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

DOI Artikel:
Graevèll, A.: Unsere Möbel, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0039

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Januar-Heft.

Seite 23.

Henry van de Velde, Brüssel.

wir nicht nur die-
sen »echt deut-
schen« Styl, son-
dern bildeten uns
auch nicht wenig
darauf ein, dass
wir nur hei-
misches Material
und heimische
Arbeit für unsere
Wohnbedürfnisse
verwendeten. Ge-
wiss, es war eine
schöne, farben-
und formenreiche
Zeit — so reich,

dass wir uns scheuten, im hellen Tageslicht unsere Schätze
zu zeigen, und es daher mit bunten Gläsern und Butzen-
scheiben dämpften. Wie im Fluge waren 10 Jahre ver-
strichen, und immer toller stürzten wir uns in den Formen-
strudel längst vergangener Tage. Berauscht von der grossen
prickelnden Gewalt des Ornaments tauchten wir tief hinab
in die Schnörkelfluth des Barock und Rokoko. Und nach
wiederum 10 Jahren war auch dieser Rausch verflogen, aber
trunken von der so rasch zu Ende gegangenen Formen-
menge des eigenen Landes plagte uns ein brennender Durst
nach immer neuen, noch phantastischeren, eigenartigeren
Formen, nach exotischen Gebilden. Da kamen uns die Japaner
gerade recht mit ihren für unser Auge absonderlichen Dar-
stellungen schlitzäugiger Zopfmenschen, bunt gefiederter Reiher
und farbenprächtiger Chrysantheen. Die schöne Klarheit und
Einfachheit der Linie that es uns an, und bald existirte keine
auf guten Geschmack Anspruch erhebende Hauseinrichtung
ohne ein oder mehrere japanische Zimmer und eine Anzahl
im japanischen Styl gehaltene Dekorationsstücke.

Aber auch dieser Geschmack hielt nicht lange vor; bis
zum Jahre 1895 hatte der japanische »Styl« schon beinahe
abgewirthschaftet, und fragend sah man sich nach Neuem
um. Immer noch suchten wir das Heil im Nachahmen Anderer.
In England hatte man angefangen, sich scheinbar von der
Massenfabrikation zu befreien und einen Zimmerstyl zu
schaffen, der das Individuelle, Persönliche der Bewohner zum
Ausdruck kommen Hess. Flugs wurden diese englischen
Ideen, die oft genug nicht englischen Künstlern, sondern
spleenigen Dilettantinnen entsprungen waren, als »Aller-
neuestes« importirt, und Hunderttausende von Mark sind nach
England gewandert, weil man, wie gesagt wurde, solche
Möbel im »echt englischen Geschmack« in Deutschland nicht
zu machen verstehe. Dass eben in diesem »echt englischen«
Geschmack der Grund zu suchen ist, warum diese neue eng-
lische Richtung bei uns nicht heimisch zu werden vermag,
dass diese »englischen« Ideen bei uns nicht acclimatisirbar
sind, weil sie unser deutsches Gemüth und Empfinden kalt
lassen, ebenso wie wir uns für japanische Drachen und
Päonien nicht zu erwärmen vermögen — das ist uns erst
seit den letzten 2 Jahren zur Erkenntniss gekommen.

Ein Gutes hat aber die »englische Mode« doch für uns
gehabt; sie hat erkennen lassen, dass die Kunst nicht besteht
im Nachahmen grosser Vorbilder, im Entlehnen fremdlän-
discher Motive und Ideen, sondern dass sie ein Sclbstschaffen
aus der Tiefe der eigenen Seele, ein selbständiges Verarbeiten
der im eigenen Land und Volk gegebenen Leitgedanken ist.
Alle Kunst muss national sein oder sie ist überhaupt keine
Kunst. Das trifft aber ganz besonders auf die angewandte
Kunst, speziell auf die Dekorations-Kunst zu. Denn was wir

Silberne Gürtel-Schnalle.

täglich um uns
sehen, was wir
stündlich in die
Hand nehmen
und gebrauchen,
das darf uns nicht
fremd erscheinen,
darf nicht einen
Karakter tragen,
der unserem per-
sönlichen Empfin-
den fern steht.
Alles Fremdlän-
dische kann im
deutschen Hause
keinem prak-
tischen Gebrauchszwecke dienen. Wir vermögen einen aus
Freundeshand stammenden fremdländischen Gegenstand deko-
rativ unserem Zimmerschmuck einzufügen; aber ein zum
praktischen Gebrauch bestimmtes orientalisches Tischchen
würde ebenso absurd sein, wie etwa ein Löwenfell als Bett-
decke oder eine Cocos-Schale als Trinkgefäss.

Und das ergibt ein anderes Gesetz für die dekorative
Kunst, das uns erkennen lässt, dass auch in der Richtung
der 70er Jahre ein Kern von Wahrheit gesteckt hat: die
vorzugsweise Verwendung heimischen Materials und inlän-
discher Arbeit. Es soll beileibe nicht einer dritten Renaissance
das Wort geredet werden — wir wollen froh sein, dass wir
diesen »todten Punkt« überwunden und uns zu selbstthätigem
Schaffen, zu eigenem Hervorbringen aufgeschwungen haben.
Das soll uns aber nicht abhalten, anzuerkennen, dass unsere
Kunst die nationale Pflicht hat, die Produkte der Heimath-
erde und der Volksgenossen überall da vorzuziehen, wo es
für die Ausstattung des deutschen Hauses ohne Noth geschehen
kann. Kaiser und Könige mögen ihre Paläste aus italienischem
Marmor, aus Cedern vom Libanon und afrikanischem Gold
herstellen lassen — ein König hat internationale Pflichten
und in dem Prunk seines Hauses ehrt er die fürstlichen Gäste
fremder Länder. Aber das deutsche Bürgerhaus bedarf dieses
exotischen Schmuckes nicht. Es soll nicht ein Prunkstück,
sondern ein Hort deutscher Gesinnung und deutscher Lebens-
art sem, es soll die nationale Eigenart bewahren, die nationalen
Sitten und Tugenden fördern helfen. (Fortsetzung ia metan Heft.)

Henry van de VELDE.

Silberne Gürtel-Schnalle.
 
Annotationen