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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Becker, Marie Luise: Kunstgewerbe in der Rue des Nations, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0194

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Seite 146.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

September-Heft.

Pas Kunstgewerbe in per Rue pes Nations.

Von Marie Luise Becker, Berlin. (Schluss)

Die Wand-Gemälde des bosnischen Pavillons gehören zu
den ersten Kunstwerken der Ausstellung. Mucha, Sarah
Bernhards berühmter Plakat-Maler, hat hier sein Können im
grossen Stile beweisen dürfen. Bosnien, eine Jungfrau, von
der ganzen Blüthenpracht des Rarenta-Thales umgeben, bringt
seine Erzeugnisse zur Ausstellung. Und die Geschichte des
Landes: die römische Epoche, die slavische Invasion, die
Segnungen des Christenthums, die Krönung des ersten bos-
nischen Königs, ein Bild aus der türkischen Epoche wie der
Bau einer Moschee in Serajewo entrollt sich in anmuthvollen
Bildern vor uns. Ist Muclia in allen der gleiche, liebens-
würdige, feinsinnige Stilist, so ist die Gruppirung, die Ein-
heitlichkeit des Ganzen, die Farbenharmonie und die unendlich
reine Schönheit der gesammten Bildwerke doch von unbe-
schreiblichem dekorativem Reiz. Eine serajewoer Firma hat
mit einem modernen Interieur, nach Entwürfen verschiedener
Künstler in der dortigen Gewerbeschule ausgeführt, einen
vorzüglichen Eindruck erreicht. Hierzu gesellen sich zwei
dekorative Malereien von M. Kaufmann: Arbeiter im heiligen
Walde und die Salinen von Dolman fuzla. So bildet der
epheuumsponnene Pavillon am Ufer der Seine zwischen dem
ungarischen mit seinen stolzen Zeugen einer alten, kunst-
gewerblich — speziell in textiler Beziehung — unendlich
reicheren Kultur, und dem exklusiveren Oesterreich ein lebens-
frohes, schaffensfrisches Zeugniss moderner Kultur auf dem
Boden des Alten. Eine Verbindung von Modern und Ro-
manisch, ein Wunderkasten aus Tausend und eine Nacht, halb
Abtei und halb Waffensammlung, ist der Palast Ungarns.
Die Fresken Paul Vago's passen sich ganz dem mittelalter-
lichen Milieu an, doch trotz ihren leuchtenden Farben wollen
sie zu den unbeschreiblich prächtigen Decken, den kostbaren
Teppichen und Geräthen, den Stickereien aus einer herrlichen,
langentschlummerten Blüthe-Epoche nicht recht stimmen.

Einfach, im üblichen, strengen und vornehmen Stile des
englischen Landhauses ist der Pavillon Albions, im Grossen
und Ganzen im Geschmack Jakobs I. gehalten. Innen grüssen
uns in erster Linie Tapeten von Morris & Co., nach Zeich-
nungen von Burne-Jones. Sie bieten mit ihren grossäugigen
stillen Engeln, ihren hohen Gestalten eine ästhetische Freude,
eine übersinnlich reine Poesie, die der ganzen Zimmer-
gruppe des Geschosses die Stimmung gibt. Einfach, ruhig
sind Diner- und Empfangs-Zimmer, die englischen Möbel,
die wir schätzen gelernt haben. Interessanter sind die
Porzellan - Zimmer des ersten Stockes, die neuen Poterien,
die Wcdgeivoods, die noch einige neue Anregungen für die
Zukunft versprechen, wie eine Reihe Schlaf-Zimmer und
ein behaglich abgestimmtes, fein dekorirtes Bade-Zimmer.
Grösste Zweckmässigkeit ist in erster Linie die Kunst der
englischen Behaglichkeit. Immer ist sie freilich hier nicht
erreicht. Aber reif und eigenartig ausgelebt zeigt sich das
englische Kunstgewerbe hier in der Hauptsache in den un-
beschreiblich gemüthlichen Kaminen, die auf prächtige Weise
organisch mit der Wand verbunden sind, in den Thüren und
Paneel-Verkleidungen, die sich unter den Eigenthümlichkeiten
des englischen Baustiles besonders günstig und reich ausbilden
konnten, und in den hervorragend schönen Stickereien. In
diesen ist ein spezifisch englisches Material, das farbige Leinen,
so glücklich, so verständnissvoll verarbeitet, es bleibt in den
Mustern so ganz Material und doch künstlerisches Haupt-
Motiv, dass ich die Arbeiten nicht genug lobend hervor-
heben kann. Nicht die Musterbildung dominirt hier, sondern

die herrliche Technik, aus der sich scheinbar diese einfachen,
kernigen floralen Motive von selbst ergeben mussten. Mr.
G. Bridge und Gertrude Bridge haben eine prächtige Mosaik-
Arbeit dem Hause einverleibt, das wie kaum ein anderes
das lebensvolle Bild des intimen, häuslichen Wirkens, ja, ich
möchte sagen: der Menschen- und Schönheitspflege in den
behaglichen Interieurs der englischen Landschlösser gibt.

Viel versprach Belgien mit seinem gewaltigen Bau, mit
seiner interessanten, reichen Fassade, und nach dem Kunst-
streben, das in den letzten 10 Jahren von dort aus über uns
hingebraust, nach dem mächtigen Prophetenwort, das von
dort uns allen getönt, durften wir auf Vieles hoffen. Und
mit welcher Erwartung sah ich die trotzigen Eichenthüren
sich öffnen! Jetzt finde ich ein vollgültiges, einheitliches,
fertiges Bild belgischer Kunst! Was aber fand ich? — Wand-
Malereien, die mehr Gemälde als Flächen-Dekors waren, und
herrliche Teppiche des 16. Jahrhunderts, eine Sammlung alter
Möbel, die Kopie des bekannten berühmten Kamins vom
Stadthaus in Oudenarde — wo aber blieb Belgiens schönes,
lebensfrohes, schaffensbereites neues Kunstgewerbe? Nicht
einmal zur künstlerischen Ausstattung des Restaurants im Erd-
geschoss war es seiner Bedeutung entsprechend herangezogen!

In reizvollen Profilen, leuchtend roth mit schimmernden
weissen Fenstern und reich mit nordischen Schnitzereien
geziert, erhebt sich der norwegische Pavillon unendlich an-
muthig am Quai, Dach baut sich über Dach und heitere
Balkons laden wie im Heimathlande zum luftigen Ruheplatz
und weiten Ausblick ein — so sitzt die norwegische Familie
des Abends feiernd und berathend an den Küsten der Fjorde.
Unendlich heimathlich ist dieser norwegische Pavillon.

Wie ich schon erwähnte, krankt unser eigener, mit farben-
glühenden Malereien reich gezierter Pavillon daran, dass die
Zirkulation der Besucher jeden Augenblick gehemmt ist. In
der kunstgewerblichen Innen-Dekoration feiert die deutsche
Glasmalerei und die Kunstverglasung Triumphe. Sie ist ein
wesentliches, stimmungsreiches und unendlich modulations-
fähiges Ziermoment. Ihre warm leuchtenden Farben, ihre
leicht gebrochenen Reflexe sind von wunderbarer Schönheit
und geben allen Räumen einen eigenen Zauber. Im breiten
Saale des Erdgeschosses lichtvoll, hell, eine nur wenig farbig
belebte Linien-Komposition aus dem Atelier des Glasmalers
A. Lütlä in Frankfurt a. M., wird sie zur zauberhaftesten
Glorie, die leuchtend, schimmernd ihren Goldrosen - Schein
in alle Krankenhäuser und Arbeiterwohnungen des Saales
für soziale Wohlfahrtspflege trägt. Diese Fenster sind im
königlichen Institut für Glasmalerei in Charlotten bürg nach
Entwürfen von Bernhard Schaede ausgeführt. Künstlerisch
ebenbürtig, aber wenig raffinirt in den Beleuchtungs-Effekten
sind die Kunstverglasungen von J. C. Spinn <5f Co. in Berlin
im Saal für künstlerische Reproduktion.

Das deutsche Haus ist das Hohelied deutschen Kunst-
gewerbes. Zu den Farben der Kunstverglasung gesellt sich
der feine Ton des rothen Marmors in der Halle, des weissen
Marmors des Fussbodens, der Treppen, die mit Smyrna-
Läufern belegt sind. In diesen leichten, weichen Linien-
schwingungen, die an die Zeichnung und Weichheit eines
Katzenfells erinnern, blieb Otto Eckmann der Meister dezen-
tester Farbenmischungen. Gerade auf den weissen Marmor-
stufen wirken diese grau-blauen, leisen Farben unendlich fein.
Der kleine Lese-Saal ist einfach vornehm im Stile des Hauses
gehalten. Ein zu grosser Tisch darin freilich durchaus un-
 
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