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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Plehn, A. L.: Einfach oder Primitiv?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0115

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Mai-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 83.

Einfach oper primitiv?

Von A. L. Plehn, Berlin.

Von dem Bestreben nach Einfachheit haben wir das Beste
für den kommenden deutschen Möbel-Stil zu erwarten.
Es kann nicht ausbleiben, dass unsere Einrichtungen auch
bei bescheidenen Mitteln solider, unsere Zimmer behaglicher
und unser Geschmack sicherer werden, sobald klare, schlichte
Formen in unserer Umgebung ihren Sinn und Zweck un-
missverständlich verrathen werden. Das ist schon wiederholt
gesagt worden und ist sicherlich richtig.

Aber wie es mit der Bewunderung für ein Wort zu
gehen pflegt, so stellen sich auch diesmal Missverständnisse
ein, und statt sich an den Sinn zu halten, klammert sich die
Unerfahrenheit, die ihrer selbst nicht sicher ist, an den Buch-
staben und hofft so dem Gesetz gerecht zu werden. Um ja
ganz einfach zu sein, wirft man möglichst viel von dem Her- j
gebrachten über Bord und stellt sich, als sei unsere Zeit die
erste, welche Säge und Hobel handhabt. Cornelius Gurlitt
hat kürzlich darauf hingewiesen*), dass die modernen Archi-
tekten in Deutschland so gut wie in Amerika aus Ueberdruss
an den traditionellen Maassverhältnissen, die seither absolute
Herrschaft übten, auf Zeiten zurückgreifen, in denen solche
Gesetze nicht festgestellt waren, also auf den romanischen
oder gar den byzantinischen Stil, um aus diesen Elementen
in modernem Geist ein Neues zu formen, welches sich dem
jeweiligen Zweck gehorsam anpasst. Dieselbe Stimmung
macht sich naturgemäss auch im Möbel-Aufbau geltend. Sie
greift hier nach ganz primitiven Formen, und sie meint, da-
durch am besten dem Ideal der Einfachheit zu entsprechen.
Vom Ausland, von wo die Parole ausgegeben wurde, und
von wo wir gewohnt sind, unsere Vorbilder zu erwarten,
kommen manchmal förmlich ungeschlachte Möbel oder doch
solche, welche es kokett darauf anlegen, dass man sie in ihrer
Entstehungszeit um wenigstens ein Jahrtausend zurückdatiren
möchte. Und wenn bei uns auch solches Mobiliar noch nicht
mit derselben Zuversichtlichkeit auftritt wie in England oder
Holland, so zeigen sich doch auch in Deutschland hier und
da Neigungen, dieselbe Wandlung vom Einfachen zum plump
Primitiven mitzumachen. So hat beispielsweise Martiti Dülfer
eine Vorliebe für einen Fussbodenbelag aus unglasirten Ziegeln,
wenn er ihre Anwendung auch auf Vorzimmer oder Früh-
stücksstuben in Landhäusern beschränkt wissen will, und auch
die Anlehnungen an den Biedermeierstil, die jetzt häufiger
beliebt werden, suchen durch übertriebene Behäbigkeit jenen
Geist zu vermeiden, der früher eifrig gesucht wurde und
heute geradezu in die Acht erklärt scheint: den der Eleganz.
Wenn diese Beispiele bei uns noch schüchterner auftreten als
im Auslande, so liegt das keineswegs daran, dass ihnen ein
sicherer Geschmack hindernd in den Weg träte, sondern im
Gegentheil an der noch fest eingewurzelten Gewohnheit, die
Schönheit eines Dinges nach dem Reichthum an Schmuck-
zuthaten zu beurtheilen. Man lässt sich bei uns Dinge ganz
willig bieten, die von jenen derbformigen Möbeln weit an
Geschmack übertroffen werden, wenn das Gebotene nur seine
Abkunft vom Rokoko oder der Renaissance nachweisen kann.
Die Mehrzahl von uns ist heute noch gar nicht reif genug,
um das vom ästhetischen Standpunkt — selbst wenn es sich
über sein Ziel hinaus verliert — durchaus achtenswerthe
Streben nach der schlichten Form gerecht zu würdigen. Aus
ihr allein kann sich etwas Neues entwickeln.

Aber nun handelt es sich um die Frage, ob das Funda-
ment, welches dort gelegt werden soll, ein dauerhaftes sei?

*) Deutsche Kunst und Dekoration Bd. III, 5.

Da zeigt man uns schlicht rechteckige Kasten-Möbel mit
Bretterwänden und Thüren, die nach allen Regeln des
»Zimmermanns-Stils« flach zusammengeschlagen sind. Breite,
massive Metallstreifen laufen darüber hin und wollen vorgeben,
dass es ausschliesslich ihr Verdienst sei, wenn das Holz über-
haupt für die Dauer zusammenhält. Einem Tischler, welcher
diese Beschläge zu solchem Zweck nicht entbehren könnte,
möchte man aber heute denn doch das Recht absprechen,
sich Meister zu nennen. Es ist ja freilich auch Niemand Ernst
mit solcher Vorspiegelung, und das Metall hat nur die Be-
stimmung, unsere Augen mit der traurigen Oede dieser
Flächen zu versöhnen. Wenn nun dafür wenigstens die
gefällige Schmiegsamkeit des Materials ansgenutzt würde,
welche das Mittelalter zu dem phantastischen Rankengeschlinge
seiner Kirchthüren verwendete, um so die hässlichen Holz-
bohlen über dem zierlichen Eisenwerk vergessen zu machen!
Dagegen bevorzugen die modernen Primitiven das breite
Metallband, welches erst dem näher Hinzutretenden einen
Reichthum gravirter oder Treib-Arbeit verräth, deren raffinirte
Feinheit gegen die absichtliche Derbheit des Möbels manchmal
ganz verblüffend absticht.

Und als ob der rechteckige Kasten an sich noch nicht
ungefällig genug wäre, so muss er durch die Art, wie er
auf dem Boden ruht, doppelt massiv erscheinen. Manchmal
werden die Füsse ganz vermieden. Das Möbel steht auf dem
Fussboden als sei es ein festgewurzelter Stumpf, ungegliedert
in abwehrender Schroffheit. Das mag recht bequem für die
Scheuerfrau sein, welche der Sorge überhoben bleibt, ob sich
etwa Staub zwischen Schrank und Diele angesammelt habe,
aber dem Geräth, wie es nun einmal beschaffen ist, ungeglie-
dert und darum gleichsam unorganisch, nimmt die Anordnung
ohne Füsse, welche den schweren Körper wenigstens vom
Boden sondern würden, völlig den Werth als eigene Existenz.
Es verschmilzt mit dem Raum, in den es sich so ungefüge
hineinlehnt. Handelt es sich um einen weniger umfangreichen
Kasten, dann wird er wohl der Bequemlichkeit zu Liebe auf
Stützen gestellt, denn von den Truhen, zu welchen man sich
so tief hinabneigen musste, will man nachgerade doch nichts
mehr wissen. Also der kleinere Schrank stellt sich auf Füsse.
Zuweilen haben sie sogar die Höhe eines Stuhlsitzes oder
noch darüber. Ob wohl hier der Tischler die Gelegenheit
ergreifen wird, durch eine gefällige Ausbildung der Stütze
für die unanziehende Form des oberen Möbeltheiles zu ent-
schädigen ? Es brauchte ja weder eine gewundene, vlämische
Säule, noch ein kecker Rokoko-Schnörkel zu sein.

Vergebliche Hoffnung! Ein viereckiger Holzstab — der
untere Durchmesser genau so stark wie der obere — thut
dieselben Dienste. Ausserdem sieht das naiver aus, mehr
nach der Rathlosigkeit des ursprünglichen Handwerkers, der
zum ersten Mal auf den Gedanken verfiel, den Kasten über
das Niveau des Fussbodens zu erheben. Ausserdem ist es
nicht genug, dass die vorderen Füsse genau die äusseren
Linien des Möbels nach unten fortsetzen, manchmal wird auch
noch die hintere Wand des Schrankes bis zur Diele verlängert,
um so noch wirksamer den Eindruck verhältnissmässiger
Leichtigkeit zu verwischen, welchen der freie Raum zwischen
den Füssen etwa hervorrufen könnte.

Sehr dienlich für denselben Zweck ist es auch, wenn die
vier Stützen, sei es an Schrank, Tisch oder Stuhl, dicht über
der Standfläche durch eine starke Querleiste mit einander
verbunden werden. Das gibt unwiderlegbar den Begriff des
Feststehens und hat insofern etwas Verdienstliches. Nur
gefällig sieht es wieder nicht aus. Das Gleiche gilt von den
säulenförmigen Stützen, welche nach unten merklich verbreitert
werden. Das gerade Gegentheil von dem sonst beobachteten
 
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