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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Architektur auf der Welt-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0131

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Juni-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 95.

Architektur auf per Welt-Ausstellung.

Ueber den künstlerischen Werth der Ausstellungs-Bauten
findet sich eine sehr geistvolle Kritik des gefeierten
Kunst-Historikers Richard Muther im 1. Mai-Hefte der Wiener
Wochenschrift »Die Zeit«. Bei dem besonderen Werthe,
welches dieses ohne jede Voreingenommenheit gefällte Urljheil
Muther's für die Leser der »Innen-Dekoration« haben dürfte,
fühlen wir uns veranlasst, nachstehenden Abschnitt hier
im Auszuge wiederzugeben:

»Die Welt-Ausstellungen leisteten wichtige, dankbar an-
zuerkennende Dienste. Als die ersten Lokomotiven über die
Länder sausten, war es für den Industriellen, den Künstler
lockend, sich rasch und bequem an einem Zentralpunkt über
das Schaffen des Erdballs zu unterrichten. Heute ist die
Produktion der fremden Länder in ihren wesentlichen Zügen
bekannt, und über Einzelnes kann der Fachmann nur auf
Spezial-Ausstellungen Belehrung finden. Denn auf Welt-
Ausstellungen ist das Material so zersplittert, dass in jedem
Kopf das Gefühl des Mühlrades erzeugt wird. Auch können
sie Neues, Werdendes so wenig berücksichtigen, wie die
Universal-Waarenhäuser Spezialitäten führen. Die Pariser
Welt-Ausstellung bringt dafür wohl den endgiltigen Beweis.
Sie ist, mit der letzten verglichen, nur umfangreicher, weder
lehrreicher, noch feiner. Ja, es scheint fast, dass man selber
die Sinnlosigkeit des Beginnens fühlte und nur mit Unlust
das einmal geplante Projekt vollendete.

Gleich der architektonische Eindruck enttäuscht. Wie
die schwierigste Verbindung herrscht zwischen den einzelnen
Theilen der Ausstellung, scheinen die Bauten systemlos über
die Riesenfläche verstreut. Ein Glanzpunkt ist da: der Blick
auf die Kunst-Paläste, den Pont Alexandre und die Kuppel
des Invalidendoms. Wäre der Haupt-Eingang hier, hätte sich
ein wunderbarer Prospekt ergeben. Statt dessen errichtete
man die Porte monumentale dicht an der Place de la Concorde
und brachte an der Avenue der Champs-Elysees ein prosaisches
Gitter an. Da, wo das Hauptthor steht, ist es todt, und der
Gebäudereihe des Pont Alexandre fehlt der Abschluss. Zola
schrieb im »Oeuvre«: »Er forderte, er verlangte mit leiden-
schaftlichen Gesten die Formel für eine neue Architektur,
eine Architektur, die etwas Gewaltiges und Starkes hätte,
etwas Einfaches und Grosses, jenes Etwas, das sich schon
ankündigte in unseren Bahnhöfen, in unseren Markthallen,
in der kraftvollen Eleganz ihres eisernen Balkenwerks, doch
geläutert noch, gesteigert zur Schönheit, verkündend die Grösse
unserer Eroberungen.« Auf der Welt-Ausstellung 138g wirkten
die Maschinenhalle, der Eiffelthurm wie Vorboten dieser neuen
Baukunst. Und was damals aufkeimte, hat sich seitdem zu
voller Reife entfaltet. Der Organismus einer Maschine, wie
der schlanke Leib eines Schiffes, die mächtigen Bogen einer
Bahnhofshalle, wie die Konstruktion eines Fahrrades — alles
erscheint uns schön, wo aus neuen Bedürfnissen neue, ein-
fache, dem Zweck und dem Material entsprechende Formen
erzeugt wurden. Das Frankreich von 1900 konnte eine solche
Baukunst uns zeigen: ohne geleimte Ornamentik, ohne leeren
Prunk, gross durch Ehrlichkeit, imposant durch Schlichtheit.
Und es vereinigt sich alles, was längst überwunden schien,
noch einmal zu einer tollen Orgie.

Die beiden Glaspaläste der Gartenbau-Ausstellung sind
die einzigen Gebäude, in denen das Material rein und unver-
fälscht spricht, die einzigen, die eine einfache, in ihrer Zweck-
mässigkeit imponirende Schönheit zeigen. Sonst lässt die
Ausstellung, statt einen einheitlichen Stil zu erstreben, die

Stile des neunzehnten Jahrhunderts in ihrer ganzen Bunt-
scheckigkeit aufleben. Besonders an die Napoleon-Zeit klam-
merte man sich an, griff auf den prunkvollen Baustil des
zweiten Kaiser-Reiches zurück, um äusserlich blendende Wir-
kungen zu erzielen. In den Kunst-Palästen geschah es mit
einem gewissen Geschmack. Obwohl alles aus dem Formen-
schatz Garniers stammt, und der Fassadenfries nicht die Aus-
führung in Mosaik verdiente, ist wenigstens Gediegenheit,
echte Vornehmheit angestrebt. Dann aber beginnt der
Schwindel, das schluderhafte Arbeiten mit Stuck und aller-
hand anderen Surrogaten. Von der Napoleon-Zeit zehrend,
schwingt man sich nicht einmal zum Niveau einer verständigen
Nachahmung auf. Die Details, an den Kunst-Palästen fein,
sind an den Gebäuden der Invaliden-Esplanade protzig und
plump. Was im Napoleonstil repräsentirend wirkt, ist hier
fade Zuckerbäckerei und hohle Tapezierkunst. Dabei fehlt
jeder Sinn für die Gesetze des Materials. Man verwendet
Bilder als Surporten und nagelt Vorhänge in die gemalte
Leinwand hinein. Schlanke Glieder sind wie zum Hohn mit
dummen Kapitalen, mit barocken Gesimsen beklebt. Orna-
mente sind nicht auf die Mauer, sondern auf aufgeleimtes
Papier gemalt. Eisenbrücken werden mit Gold überstrichen
oder sollen wirken, als ob es Steinbrücken wären. Das
Debacle des Geschmacks ist so riesig, dass sich die Reste
von 1878 und 1889 wie Ruinen einer besseren Zeit aus der
kunstarmen Gegenwart erheben.

Nachdem der Napoleon-Stil durchgekostet, öffnet sich
ein anderer Baukasten, und ein Stück Mittelalter steigt empor.

Joseph Hoffmann, Wien.

Aus dem » Wiener Wohn-Zimmert.
 
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