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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Schulze-Köln, Otto: Hermann Kirchmayr
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0112

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Seite 80.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

Hermann KjRCtiMAYR.

CT^pärlich nur dringen Lebenszeichen von einem Künstler
k^J} zu uns, dem es vor einem Jahrzehnt noch des öfteren
Bedürfniss war, bei Nennung der bestklingendsten Namen
Münchener Innen-Architekten und Kunstgewerbler an erster
Stelle zu Wort zu kommen. Heute zählt Hermann Kirchmayr
in lokaler wie in schulemachender Abgrenzung nicht mehr
zu der engeren Münchener Art, er ist längst vor dem Hasten
und Wühlen des Kunstlebens der süddeutschen Zentrale
geflohen, nicht um sich an neue und doch gleich drückende
und einengende Verhältnisse zu schliessen, sondern um einsam,
unbeachtet und nichtbefragt unbegangene, selbsterschlossene
Schmalwege zu gehen. — Von jeher war er ein Sonderling
und Andersmacher, dem stets daran lag, so wenig wie mög-
lich Aufsehen zu erregen. Wer kennt nicht seine meisterhaft
geschauten, empfundenen und fast zu neuem Leben erwecken-
den Studien von Innenräumen des fünfzehnten und sechs-
zehnten Jahrhunderts aus Tiroler Schlössern. Das Alles ist
mehr als kopirt, mehr als ein kunsthistorisches Bekenntniss
oder modisches Aufwärmen alter Scharteken. Wie Kirchmayr
in dieser Art empfängt, wiedergibt, verkündet und befruchtet
— gleichmachen könnte es ihm heute niemand, nachmachen
nur wenige — und die lassen es wohl besser bleiben.

Von diesem bisherigen Hauptschaffen, von diesem ganz
spezifisch nur ihm eigenen Schürfen alter Kunst ist auch das
weitere Abbauen der Schätze der Natur aus dem jetzigen
Lebens-Abschnitte des Künstlers beeinflusst worden. Wer
auf frühere Veröffentlichungen von Kirchmayr zurückgreift —
unsere Zeitschrift ist namentlich in ihren letzten Jahrgängen
reich an solchen, man vergleiche nur das Januar-Heft 1899 —
der wird sich leicht überzeugen können, dass derselbe Geist,
der historische Denkmäler durchdrang und erkannte, auch in
den Werken waltet, die, von der Natur beseelt und gemodelt,
Zeugniss ablegen wollen von grosser persönlichster Eigenart
ausserhalb der koursmässigen modernen Strömung. Das
belegen die diesen Worten beigegebenen neun Abbildungen,
zu denen die distelartige Scabiosa-Pflanze den Stoff bot.

Seit einigen Jahren ist Kirchmayr's alte Liebe zur Natur
wieder erwacht. Die Flora der Berge und Thäler Tirols, die
nach der gewiss beizupflichtenden Ansicht Kirchmayr's schon
den alten Meistern der von uns so sehr geschätzten Tiroler
Kunst ihre herbe, strenglinie Schönheit darbot, fesselt ihn derart,
dass er von dem sonst üblichen Naturstudium der Bildwieder-
gabe der Pflanzen zu einem
tektonisch-formalen überging,
das ihm das ganze Wesen,
das individuelle Sein der je-
weiligen Pflanze erschliessen
sollte. Das haben andere auch
schon gethan und thun es noch
heute, es sei nur an Meurer,
Seder, Belepsch-Valendas, ja
selbst an den jungen Paul
Bürck erinnert, jene nicht zu
nennen, die mit mehr oder
weniger Erfolg die Wege
gehen, die die genannten an-
legten. Es läge also an sich
in dem Vorgehen Kirchmayr's
noch nichts Aussergewöhn-
liches, wenn wir nicht ohne
lange Prüfung festzustellen

vermöchten, dass dieser in L£on Bochoms, Verviers.

seiner Art der künstlerischen Belebung der Naturformen eben
eine ganz besondere Stellung einnimmt — fest umrissen und
geklärt durch seine historische Schulung. — Kirchmayr steht
in der That allein; allein wie alle jene Menschen, die nicht
das Bedürfniss haben, sich über ihre Absichten und Pläne zu
äussern, die nur dann sprechen, wenn sie es unbedingt müssen,
und dann wiederum nur in Werken, nicht in Worten. Aber
darin liegt ein Hauptreiz echten, alten Künstlerthums, das
vielleicht mit Kirchmayr neu- und auslebt.

Falsche Begriffe waren es stets, die wir mit einer Neu-
belebung der alten gothischen Formenwelt verbanden als ein
Heideloff, Ungewitter, Statz, Schmidt u. a. gothische Spezialisten
waren, die sich redlich bemühten, die alten Bauhütten neu
erstehen zu lassen, zünftig, kanonisch, verknöchert. Aeusser-
lichkeiten haben noch immer eine grosse Rolle gespielt; man
besitzt einen alten Rock, zu dem der passende Mensch fehlt;
einen »neuen« hineingesteckt, ergibt doch schlechterdings nur
eine Puppe. Natürlich herrscht heute nur allgemeine Ent-
rüstung über diese Art und Weise der Auf pfropf ung alter
Kunst auf modernes Können und Empfinden, obgleich doch
auch gewisse Segnungen da ganz besonders fühlbar zu erkennen
sind, wo nicht nur der Verstand, sondern auch ein warmes
Mitempfinden die Schätze alter Kultur nutzbar zu machen
vermochte. Diese Erkenntniss ist aber nur in seltenen Menschen
aufgedämmert — sonst hätte der moderne Zeitgeist in Kunst
und Dichtung weniger seltsame Blüthen getrieben, wie wir
sie — leider keine Ausnahme von der Regel — heute als
ausgesprochen »modern« hinnehmen müssen. — Es ist fast
der Befreiung von einem Albdruck gleich, wenn man in der
Würdigung des künstlerischen Schaffens eines Mitlebenden
der Versuchung entgehen kann, sich darüber zu äussern, ob
modern oder nichtmodern. Das Wort »modern« hat in der
Kunst einen noch viel hässlicheren Klang als jene Wortbil-
dungen mit der klassischen Endung »ismus«, die doch
wenigstens Sinn haben, wenn auch nicht viel. Modern ist
manchmal fast gleichbedeutend mit »nicht leben können«.

Für Kirchmayr erblicke ich darin einen erfreulichen
Vorzug, dass er darauf verzichtet, modern zu sein. Ja, er
ist auch nicht modern; er kann wohl neuzeitlich schaffen —
und zwar ganz naturgemäss — legt aber keinen Werth darauf,
das als etwas ganz besonders wichtiges zu betonen; ihm ist
das selbstverständlich, denn man kann folgerichtig in altem
Geiste nicht schaffen, sondern glücklichsten Falles nur — nach-
ahmen. Kämen wir doch endlich mal dazu, das zu erkennen
und zu verstehen; ich glaube, wir bauten dann auch unsere

Kirchen nicht mehr ausschliess-
lich gothisch oder romanisch.
So würde auch das, was uns
der Künstler und Architekt
Kirchmayr in den hier ein-
geschalteten neun Scabiosa-
Kompositionen als Ausfluss
seines persönlichsten Stils
spendet insofern zu unrecht
als modern bezeichnet werden,
weil Kirchmayr noch immer
die dritte Dimension fühlt bei
Pflanzen, die unsere »Moder-
nen« zu leugnen scheinen, die
geradezu in der Flachheit und
Verflachung sich gegenseitig
überbieten. Gewiss, das Flach-
ornament hat heute mehr denn
je seinen Platz zu behaupten,
Kunst-Verglasung. das schliesst aber nicht aus,
 
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