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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Meissner, Carl: Deutsche Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0042

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Seite 26.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Februar-Heft.

Prof. Gross, Dresden. Arznei-Schrankchen. Mahagoni mit Zinn-Einlagen.

und missgewachsen, aber manch Geschnörkel und »Zierrath«
— Ornamentgeschwür nennen wir's heute — war ihnen an-
geklebt und aufgesteckt und sollte ihre Hässlichkeit decken,
rückte sie aber nur noch stärker ins Licht; dem vortreff-
lichen, gereimten Wahrwort zufolge: »Geht eine her im
schlichten Kleid, wen kümmerts ob sie schön, doch putzt
sich auf die Hässlichkeit, so muss sie jeder sehn«.

Das war es, was vor zehn Jahren die Vertreter des
Volkskunstideales in den Wohnungen des unteren Mittelstandes
beobachten konnten. Ist das heute schon wesentlich besser?
Doch davon nachher! Die zweite Beobachtungsreihe, die das
Verlangen nach einem Volkskunsthandwerk stützte, ergab sich
aus dem Anschauen der Reste einer hie und da noch matt leben-
digen echt deutschen Bauernkunst, die zu Anfang des Jahrhun-
derts noch voll lebendig gewesen war. Da fand man alles,
was den städtischen billigen Magazinmöbeln fehlte. Eine eigene
Physiognomie: eine deutliche konstruktive Grundform, die sich
selbständig aus bestimmten Bedürfnissen heraus entwickelt
hatte und die dann eine schöpferische Fantasie in freier und
echter künstlerischer Heiterkeit mit karakteristischen Schmuck-
formen und vor allem mit kraftvollen Schmuckfarben verziert
hatte. Man fand in dieser Bauernkunst, die von dem billigen
und schlechten Industriemöbel noch nicht ganz verdrängt
war, sich die naive Herzlichkeit, die Liebe zum eigenen

Heim, die in der städtischen Miethswohnung ein seltener Gast
geworden war, auch in der häuslichen dilettantischen Selbst-
tätigkeit der Bauern solch konservativer Landstriche weit
geschmackvoller äussern als in der Wohnung der Städter.
Das war also etwas, das man nicht etwa nachahmen wollte,
aber an dessen wahrhaftigen Geist man doch anknüpfen konnte.
Und so forderte man: eine Volkskunst, die ohne ihren Blick
auf das Kunstgewerbe des Luxus zu richten, die ohne für
sich als massgebend zu betrachten, was für jene massgebend
ist, die somit ohne Nachahmung kostbaren Materials, den
Reichthumsbedürfnissen entlehnter Formen, den Prachtstücken
entnommener Verzierungsweisen, an die einfachen Aufgaben
einfacher Lebensbedürfnisse voraussetzungslos und frei heran-
tritt. Eine Volkskunst, die statt falschen Flitters tüchtige
Ehrlichkeit gibt, die unbefangen fragt: wie gestalte ich ein-
fach aber schön, seinem Zweck und seinem Material ent-
sprechend dieses oder jenes Geräth, dass es klar und erfreulich
dastehe, nicht als ein würdeloser Nachäffer fremder Pracht,
sondern in gutem Bürgerstolz als iemand, der sich so gibt

Johann Vincenz Cissarz, Dresden. „Stummer Diener". (Dresd. Werkstätten.)

E. R. Waf.ther, Dresden. Sofa mit Rückwand. (Dresdener Werkstätten.)

wie er ist, Ein solches Volkskunst-Handwerk, das sich auf
eigene Füsse gestellt und sich unabhängig gemacht hätte von
der Nachahmung der Luxusformen, es würde, so meinte man,
unseren Handwerkern auch wiedergeben, was ihnen abhanden
gekommen ist: natürliches Stilgefühl, Sinn dafür, dass die
Erscheinung eines Gegenstandes in Form und Farbe der
Ausdruck seines wirklichen Wesens sei.

Diese Forderungen, so klar und verständig sie waren,
so deutlich sie das sahen, worauf es eigentlich und haupt-
sächlich ankam, trugen damals noch nicht Frucht, sie reiften
nicht zu Thaten. Fachleute und Behörden verhielten sich
meist ablehnend. Die Bauernkunst wurde als eine neue kunst-
wissenschaftliche Sammel - Aufgabe, als eine Museums-An-
gelegenheit betrachtet, nicht als etwas, von dem produktive
Anregungen ausgehen könnten. Und das Unter-Spiritus-
setzen thats freilich nicht! Nur das schon erwähnte selbst-
ständige Studium der Naturformen gedieh hie und da — so
unter Direktor Seder in Strassburg — im Gegensatz zu den
Eselsbrücken fertig überlieferter Schmuckformen, die man an
den meisten Kunstgewerbeschulen beschreiten lehrte. Doch
das war nur eins und nicht das Wichtigste, denn wir wissen
es heute: ein Möbel, überhaupt ein Einrichtungs-Gegenstand
kann auch ohne schmückendes Beiwerk, einfach durch seine
 
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