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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Graevèll, A.: Unsere Möbel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0080

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Seite 56.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

gebrauchen. Dasselbe gilt von Speisetischen, an denen wir
mit zusammengepresster Brust sitzen und uns so eng wie
möglich einrichten müssen, damit wir den Nachbar nicht
belästigen. Wären die Sitze an solchen Speisetischen durch
flache Segment-Ausschnitte eingetheilt, so wäre ein so un-
gemüthliches Speisen, wie es jetzt uns oft zugemuthet wird, aus-
geschlossen. Runde und ovale Tische sollten aber nie zur Arbeit
dienen, wohl jedoch der Vereinigung zu geselliger Unterhaltung.

Ein Möbelstück, das auch auf dem Aussterbe-Etat steht,
ist die Kommode. Und doch ist sie keineswegs unpraktisch,
wenn ihre Fächer nicht zu tief und nach dem Zwecke ihrer
Benutzung mit Fach-Eintheilung versehen sind. Zweifellos
ist sie praktischer als die Truhe, der man heute in vielen
Zimmern als Dekorationsstück wieder begegnen kann. Fragt
man aber nach ihrer Verwendung, so antwortet uns ein
erröthendes Gesicht, dass man da ein Möbel besitzt, von dem
man nicht weiss, was damit anfangen.

Schränke sind ein sehr dekoratives Mittel für die Zimmer-
Ausstattung, wenn sie nicht zu gross und monumental gehalten
sind. Es gibt nichts Reizenderes, als kleine und mittlere
Schränke, sie dürfen nur nicht allzuweit in den Zimmerraum
hineinragen. Wo es deshalb angeht, sollte man für die Auf-
stellung von Schränken Nischen benutzen oder solche bewusst
in passender Weise anbringen. Hier ist unseren Architekten
eine Aufgabe gestellt, gleich bei der Anlage der Wohnungen
auf die Schrankstellung Rücksicht zu nehmen — eine Auf-
gabe, der sie namentlich auch bei kleinen Wohnungen für
Arbeiter u. s. w. sehr gut gerecht werden könnten. In wie
vielen solcher Wohnungen sieht man die Kleider an in die
Wand geschlagenen Nägeln hängen, weil die Leute nicht die
Mittel besitzen, einen Kleider-Schrank anzuschaffen. Hat der
Architekt aber durch Anlage eines Wand-Schrankes vor-
gesorgt, so haben die Leute ihren Kleider-Schrank.

Dass an allen Schränken die Thüren ganz aufgehen, d. h.
im vollen Halbkreis aufgeschlagen werden müssen, ist eine
Regel, die jetzt meist schon befolgt wird. Weniger beachtet
wird aber oft der Zweck der Schränke. In Kleider-Schränken
sieht man immer noch die alten Holzrechen mit Holzknöpfen,
während doch heute Jeder, der auf seine Garderobe hält,
Schulterbügel und Strecker verwendet, die je nach der Schrank-
grösse in bestimmter Zahl mit zum Schranke gehören sollten;
ebenso fehlen Schirmklammern, Hutborde über den Kleider-
haltern u. s. w. Die Wäsche-Schränke entbehren meist jeder
besonderen Einrichtungen; eine Fach-Eintheilung nach der
üblichen Grösse der Wäschestücke mit in Leisten gehenden
Abzugs-Brettern würde die Ordnung in den Wäsche-Schränken
sehr vortheilhaft vermehren.

»Wer sich heute sein Haus, sei es noch so bescheiden,
behaglich einrichten will, muss sich um alle Dinge selbst
kümmern, muss seine Bedürfnisse studiren und klar erkennen.
Praktische Möbel sind nicht theurer als gedankenlos fabrizirte
und für Handwerker liegt in der Herstellung nach Bedürf-
nissen konstruirter Möbel ein ausserordentlicher Ansporn, denn
nur wenige haben eine Ahnung von der Raum- und Zeit-
ersparniss und von der Bequemlichkeit, die sich auf dem
Gebiete der Möbel-Konstruktion erreichen lässt.« *)

Aber die richtige Herstellung der Möbel allein thut's
auch nicht, es muss auch die richtige Aufstellungdazu kommen,
und das ist um so schwieriger, je mehr in unseren Mieth-
wohnungen die Zimmer an Proportionalität verloren haben.
Tiefe und Breite der Zimmer stehen selten zu einander in
Verhältniss und noch weniger die Höhen; und das leuchtet
ein, wenn man bedenkt, dass oft die Raum-Eintheilung eines
ganzen Hauses durch alle Stockwerke dieselbe ist, die Höhe

*) Lichtwark, »Palastfenster und Flügelthür«. Verlag von Br. & P. Cassierer, Berlin.

aber von 4 m in den unteren auf 2'/« rn in den oberen:
herabgeht. Noch beunruhigender wirkt meist die Vertheilung
von Fenstern und Thüren; hinsichtlich der letzteren kam*
man sich nicht genug thun, sodass der Miether vor Thüren,.
Fenstern und Oefen nicht weiss, wo er seine Möbel hinstellen
soll; Wände und Ecken, die wichtigsten Dckorations-Grund-
lagen , fehlen geradezu fast überall.

Das Ungemüthlichste in einem Zimmer ist es, den Mittel-
räum voll zu stellen. Nicht nur verkleinert man damit die-
an sich nicht grossen Räume, sondern man hindert die Passage^
nöthigt zu ausweichenden Bewegungen und lässt dadurch in
den Sitzenden kein Gefühl der Ruhe aufkommen. Auch für
ein Empfangs-Zimmer ist die Aufstellung des Sopha's inmitten
der Wand nicht empfehlenswerth und zeigt von wenig Takt:
ein Besuchs-Zimmer soll zum Ruhen einladen; nicht aber
den Sitzenden die Ruhe vergällen. Von der Ecke aus über-
blickt man den ganzen Raum, und zwar in der Diagonale,,
wodurch er gross und weit erscheint und alles Bedrückende
der Wände verliert, zudem aber ein Gefühl der Sicherheit
und Geschütztheit erweckt. Da die hinteren Zimmer-Eckert
in der Regel von Thür und Ofen in Beschlag genommen*
sind, so ist ein Eck-Arrangement am besten in eine der
Fenster-Ecken zu verlegen. Freilich wird hier die Zwei-
theilung unserer Fenster meist störend wirken. Wird aber
die Fensterwand einheitlich gestaltet, so lässt sich hier ein
prächtiger Familiensilz arrangiren, bei dem auch der übliche
runde Tisch nicht zu fehlen braucht. Doch sollte man ihn
nicht grösser nehmen, als er wirklich gebraucht wird.

Ein sehr wichtiges Dekorationsmittel für Zimmer sind
Blumen; aber nicht künstliche Blumen und Makartbouquets,
die nur Staubfänger sind, sondern lebende Blumen und Blatt-
pflanzen, welche die Zimmerluft verbessern und sie mit köst-
lichem Wohlgeruch erfüllen. Ihre Plazirung in Fensternähe
bereitet uns heute oft Schwierigkeiten, weil wir zu kleine und
zu schmale Fensterbretter haben und in der Nähe der Fenster
selten Tische aufstellen, auf die sich Blumen bringen lassen.

Auch Lampen und Leuchter geben gute Dekorations-
mittel ab. Immer aber bedenke man, dass Lampen und Kerzen-
Lichtquellen sind, und dass, wenn diese eine wesentlicb
andere als am Tage ist, das ganze Zimmer-Arrangement ein
anderes Aussehen erhält. Franz Stuck hat deshalb in seiner
Münchener Villa die Beleuchtungskörper durchgehends über
den Fenstern angebracht und damit erreicht, dass der Licht-
einfall in's Zimmer bei künstlicher Beleuchtung genau derselbe
ist wie bei natürlicher. Der Gedanke ist der weiteren Aus-
bildung werth und sei den Fachleuten an's Herz gelegt.

Endlich sei nicht vergessen, dass es auch eine Anzahl;
Gegenstände gibt, die nicht dem praktischen Gebrauche dienen,
und doch im Zimmer nicht gern gemisst werden. Es sind
jene kleinen Nichtse, deren Dasein uns erst die Wohnlichkeit
und Behaglichkeit des Raumes recht empfinden lässt, weil
sie gewissermassen eine Sprache ohne Worte zu uns reden,
eine Sprache, die alles ausdrückt, was der Bewohner des
Zimmers an Erinnerungen aus seinem Leben dauernd bewahrt.
Eben darum muss man sich aber von allem Zuviel, von allem,
unbedachten, nur auf Renommage abzielenden Schmuck fern-
halten, wie das auch Lichtwark a. a. O. verlangt.

So sehen wir, wie »unsere Möbel« ein Stück unserer
selbst sind, wie sie Theil haben an unserem Leben und gewisser-
massen der Ausdruck unseres Seins und Empfindens sind.
Zeige mir Deine Zimmer, und ich will Dir sagen, wer Du
bist! Möchten das Alle recht beherzigen, vorab aber unsere
deutschen Frauen, denen die Sorge für Haus und Herd,
für das Wohl des deutschen Hauses und seiner Bewohner
anvertraut ist! —
 
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