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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Graevèll, A.: Das Bürgerliche Reihen-Haus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0102

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Seite 74.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

der Nachmittags-Mocca Platz. An der dem Mittelfenster
gegenüberliegenden Wand steht der breite Kamin-Ofen
mit zwei molligen Ecksitzen, an den sich unmittelbar ein
grosses Eck-Arrangement anschliesst, welches die Hälfte
eines regelrechten Achtecks darstellt und einen zeit- oder
baldachinartigen Ueberbau erhält. Den Hintergrund bildet
ein mit dunkelrothem Stoff bespannter, in schönen Linien
gehaltener Rahmen; auf dieser Fläche lassen sich Photo-
graphien, Holzschnitte, Ansichtskarten und sonstige Rari-
täten des Zimmerherrn in buntem Gemisch malerisch
anbringen. Auf dem hohen Bordbrette stehen eine Anzahl
hübscher Krüge und Gläser, wie sie bei der davor statt-
findenden Tafelrunde guter Freunde des Hausherrn in
Benutzung kommen können, nur keine Sachen von rein
dekorativem Karakter. Auch ein Trinkhorn oder alte
Studien-Embleme können hier Platz finden. Der achteckige
Auszieh-Tisch steht auf wärmenden Fellen und eine Anzahl
hochlehniger, bequemer Polsterstühle im Verein mit dem
viergetheilten Sopha laden zum Haustrunk ein. Die nöthige
»Erleuchtung« spendet dieser feuchten Ecke ein von dem
Baldachin herabhängendes Lichtweibchen, während in dem
Schränkchen, welches auf dem in Form eines halben
Achtecks gehaltenen Kredenztische steht, die wohlthätige
»Atzung« sowohl, als Tabak und Cigarren enthalten sind.
Die daneben stehende Stand-Uhr mahnt an rechtzeitigen
Abbruch der feucht-fröhlichen Sitzung. Eine ebenfalls in
halber Achtecks - Form gehaltene hochfüssige Kommode,
welche für Kleinwäsche und sonstige Toilette-Gegenstände
zu schnellem Wechsel bestimmt ist und deshalb auch einen
Aufsatz-Spiegel mit Kammkasten enthält, bildet den Rest
dieses in allen seinen Theilen Behaglichkeit und Ruhe

beibehält. Wie nett bei Zusammenkünften der Familien-
glieder, wobei man nicht an Etikette und Förmlichkeit
gebunden sein will, sondern sich freut, einander wieder 'mal
in's Auge sehen zu können! Und dort in der anderen
Fenster-Ecke steht Mutters bequemer Lehnstuhl auf einem
erhöhten Platze, davor die Nähmaschine und auf dem breiten
hohen Fensterbord die Kassette mit dem Nähzeug. Neben
dem Ecksopha an der langen Wand steht das Pianino.
Den hinteren Theil des Zimmers aber füllt ein überaus
gemüthliches Ofen-Arrangement. Rings um den Ofen läuft
eine bequeme, breite Polster-Ottomane, die sich in der
Ecke herumzieht, dort noch einem länglichen, fünfeckigen
Tischchen Platz gewährend — der winterliche Altensitz;
wogegen die Fenster-Ecke der Jugend vorbehalten ist.
Die andere Längsseite des Zimmers nimmt ein in der schon
bekannten Fünfecks - Form gehaltener Servirtisch mit
darüber an der Wand angebrachtem flachem Wirthschafts-
Schränkchen, eine Truhe für grösseres Kinderspielzeug, ein
Schränkchen für die Schul- und Unterhaltungs-Bücher der
Kinder und ganz vorn, unweit des Ofens, eine Bank für
die Kinder ein, von der aus sie den Geschichten zuhören
können, die Mutter, in der Dämmerstunde am Ofen sitzend,
ihnen erzählt. Vier Sessel für das kleine Volk finden für
gewöhnlich unter dem Familientische Platz, während eine
Anzahl Stühle, die nicht hochlehnig sein dürfen und das
Kreuz gut stützen müssen, erwachsenen Personen Platz
bieten. Ein Eck-Wandschränkchen hinter Mutters Lehn-
stuhl enthält deren kleine Wirthschafts-Bibliothek, sowie
die nöthigen Utensilien für die häusliche Buchführung und
Korrespondenz, während über der Lehne des mittleren
Sophatheils ein anderes Schränkchen — in die Mauer ein-

athmenden Zimmers. Als Fussbodenbelag könnte glattes
Linoleum mit einem von der Thür zur Estrade laufenden Woll-
Läufer dienen. Auch hier beachte man, dass die Tönung der
Wand, die unten in Lehnenhöhe mit einer Holzlambrie ein-
gefasst ist, von unten nach oben blasser wird; das lässt die
Zimmer höher erscheinen und macht sie oben luftig und weit.

Der Eingangsthür zum Arbeitszimmer gegenüber liegt
die Thür zum Wohnzimmer, welches ebenfalls sechseckigen
Grundriss hat, aber breiter ist als das Besuchszimmer (5 : 6 m).
Unser erster Blick fällt auf das trauliche, dreitheilige Eck-
sopha in der gegenüberliegenden Fenster-Ecke mit dem davor-
stehenden sechseckigen Familientisch, der bis zur Grösse für
16 Personen durch zweimaliges Ausziehen erweitert werden
kann, dadurch aber nicht die steife Form einer Festtafel
erhält, sondern den gemüthlichen Karakter des Familientisches

gelassen — die Haus-Apotheke enthält und, zwischen Sopha
und Pianino, die gemüthliche Schwarzwälder Uhr ihren Platz
findet, unter welcher der Notenkorb steht. Ein Haussegen,
einige gute Holzschnitte in einfachen Rahmen, zwei Konsol-
chen mit den Büsten grosser deutscher Männer und ein
Kaiserbildniss aus Bronze oder bronzirtem Gips bilden den
Wandschmuck des bürgerlichen Wohnzimmers.

Im zweiten Obergeschoss befinden sich die Schlafräume
für Eltern und Kinder, sowie die Wirthschaftsräume: Küche,
Vorrathskammer, event. Mädchenkammer. Von der Einrich-
tung der Küche hier eine Beschreibung zu geben, mag unter-
bleiben, da auf diesem Gebiete die Technik so viel Gutes
und Neues geschaffen hat, dass man sich mit diesen Fort-
schritten, die ja noch keineswegs abgeschlossen sind, vorerst
zufrieden geben und die Einführung praktischerer Formen
 
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