Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

DOI Artikel:
Graevèll, A.: Das Bürgerliche Reihen-Haus, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0109

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mai-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 77

Hermann Kjrchmayr , Silz (Tyrol).

Entwurf einer Füllung (Scnbtosa-MotivJ.

Zimmer-Mitten stets freigehalten blieben, damit der Verkehr
im Zimmer in keiner Weise beschränkt werde, auch 4. alle
Gleichförmigkeit und Symmetrie ausser Acht gelassen und
dadurch der deutschen Eigenart am besten entgegengekommen
wurde; dass ferner 5. nirgends eine Ueberfüllung, aber auch
nirgends eine peinliche Leere stattfindet, die beide ein Zimmer
abstossend machen; dass 6. die Einrichtung jedes Zimmers
seiner Eigenart und Bestimmung angepasst wurde, sodass es
auf den ersten Blick klar ist, in was für ein Zimmer man
tritt; dass 7. Zimmerform und Möbelform in Beziehung zu
einander gebracht und hierdurch jene Uebereinstimmung
geschaffen ist, die ein Zimmer »stilgerecht« erscheinen lässt,
auch wenn die Einrichtung nicht wie aus einem Gusse hervor-
gegangen aussieht; dass 8. auch die Architektur eines Zimmers
für die Möbelirung von Wichtigkeit ist, insofern Fenster-
Anlage, Thüren, Nischen usw. dabei eine grosse Rolle spielen
und deren zweckmässige Plazirung und Benutzung die Aus-
stattung der Zimmer wesentlich erleichtert; endlich 9. dass
jedes Zimmer auf eine andere Grundform der Möbel gestimmt
sein kann und muss, wenn die jetzt herrschende Monotonie
der Zimmer-Ausstattungen besiegt werden soll.

Aber — und damit wende ich mich an das Publikum —
meine Darstellungen sollen nicht etwa zeigen, wie eine neue
bürgerliche Einrichtung beschaffen sein muss, sondern wie
eine alte dergleichen aussehen soll und kann, d. h. die Ein-
richtung einer Familie, die auch wirklich zu bürgerlichen
Verhältnissen (heute sagt man: »gut« bürgerlichen) gelangt
ist, also nicht einer Familie, die — wie junge Ehepaare —
noch gar keine ist, sondern einer Familie, deren Kinder sich
zumeist schon im höheren Schulalter befinden, wo also eine
gewisse Konsolidirung der Verhältnisse und ein Abschluss
der eigenen Bedürfnisse stattgefunden hat. Das eben ist der
Fehler unserer heutigen Einrichtungsweise: da soll alles gleich
fix und fertig wie in einer alten »eingerichteten« Wirthschaft
sein. Infolgedessen wird planlos alles Mögliche in diversen
Möbelgeschäften je nach persönlichem Geschmack zusammen-
gekauft und eine Menge Dinge zwecklos aufgehäuft, von
denen so manche später im Wege sind und nöthigeren Sachen

Platz machen möchten und oft auch müssen. Es gibt sog.
»gute Stuben«, in denen Betten stehen und in zahllosen
Wohnzimmern trifft man Kleiderschränke und Wäschekom-
moden an, die noch von der ersten Einrichtung der Schlaf-
zimmer herrühren, aber der zunehmenden Bettenzahl halber
dort nicht mehr Platz finden können. Darin besteht die
ganze Kunst des Wohnungs-Einrichtens: nichts Ueberflüssiges
ins Zimmer schaffen, das aber, was hineingehört, so anschaffen,
dass es sich dem Ganzen harmonisch einfügt. Ich habe ein
Zimmer gesehen, in dem das Sopha in der Ecke einen grünen
und der Lehnstuhl am Fenster einen rothen Bezug hatte, und
doch störte das die Harmonie des Zimmers nicht, weil der
Lehnstuhl auf einem abgeschlossenen Platze stand, dessen
übrige Ausstattung zu dem rothen Polsterstuhl vortrefflich
passte — die Dissonanz löste sich harmonisch auf.

Also nicht von vornherein komplet »einrichten« und nicht
Möbleur und Tapezierer die Sache machen lassen, sondern
selbst mitarbeiten und die Wohnung successive so entstehen
lassen, wie die Familie »allmählich« entsteht! Eine Wohnung
muss etwas Gewordenes, nicht etwas »Gemachtes« darstellen.
Dann wird die Einrichtung schon von selbst »stilvoll« gerathen.

Und noch Eins. Die geschilderten Mobilien haben sämmt-
lich den Vorzug, dass sie sich ebenso in einfachster, wie in
kostbarster Ausführung herstellen lassen; es kann sich also
ein Jeder »nach seiner Decke strecken«. Ebenso wie die
angegebene Bauweise der Häuser je nach den Mitteln des
Besitzers und der Lage der Grundstücke sich einrichten lässt
und dadurch Mannigfaltigkeit und Abwechselung in die
Strassenbilder kommt trotz des gleichen Grundtons, auf den
die Bauart gestimmt ist, so auch lässt die obige Einrichtungs-
weise alle erdenklichen Variationen zu; aber sie hält ebenfalls
eine Grundstimmung fest, die man das »nationale Element«
der Wohnung nennen kann. Und so würden wir, wenn wir
diese Grundtöne festhalten und danach Text und Melodie
unseres häuslichen Lebens richten, vielleicht wieder dazu
gelangen können, was die Sehnsucht aller wahrhaft Gebildeten
im Volke ist: zu einer volksthümlichen Bauweise und zu
einer nationalen Wohnsitte!
 
Annotationen