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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Schulze-Köln, Otto: Hermann Kirchmayr
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0114

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Seite 82.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

endlich mal auf jene kolossale Ueberproduktion hinzuweisen,
die angeblich im Geiste des Buchschmuckes, der Tapete und
der gesammten textilen Kunst schafft. Schon jetzt droht das
Verständniss für das plastisch-formale Schmuckprinzip ver-
loren zu gehen; das bekundet die Mehrzahl unserer Möbel,
viele moderne Metall-Arbeiten und leider bereits auch so
manche Fassade. — Und doch schliesst das eine das andere
nicht aus. Eine Zeit, die schier in mancher Beziehung nach
einer vierten Dimension suchen soll, darf zunächst die dritte
nicht vergessen. Aus Linie und Fläche wird der Architektur
letzter Stilblüthe das Brandmal des Unkünstlerischen aufge-
drückt werden; eine Reaktion in der gesammten modernen
Bewegung scheint mir unvermeidlich. — Auch die Kirch-
mayr'schen Versuche werden daran nichts ändern, denn sonst
hätten die viel schwerer wiegenden Bestrebungen Meurer's
der seichten Ausartung des Ornaments, namentlich des pflanz-
lichen und des der geistreichen Linie, ein Ziel setzen müssen.
Der Lebensnerv der Kirchmayr'schen Pflanzen-Ornamente
liegt lediglich in dem Betonen des doch nun einmal nicht
wegzuleugnenden Wachsthums, von dem sich Schwerpunkt
und Richtung nicht gut trennen lassen. Damit spricht der
Architekt ein gewichtiges Wort zu Gunsten jener Geschöpfe
Gottes, die der barbarischen Entnaturalisirung so fühlbar preis-
gegeben sind. Auch für die Gesetzmässigkeit, für die Funk-
tionen eines Organismus, für die Untrennbarkeit eines ein-
heitlich gedachten Ganzen kann so nur die künstlerische
Empfindung des Architekten sprechen. Ganz abzusehen von
der widerspruchslosen Darstellung der doch merklich von
einander abweichenden Lösungen, und diese ist es zunächst
nicht allein, die das Wesen eines Ornaments bedingt, hat
doch wohl zu allererst jenes Schmuckprinzip die allermeiste
Berechtigung, die von vornherein auf Art und Technik, auf
Abmessung und Benutzbarkeit des zu schmückenden Gegen-
standes Schlüsse zieht. Die Moderne denkt darüber leider
weniger befangen, weil sie oft überhaupt nicht denkt, nicht
prüft. Das liegt viel an der Erziehung, an der bisherigen
praktischen Thätigkeit und dem Maass der Verantwortlichkeit,
das dem schaffenden Architekten wohl zu allermeist am fühl-
barsten zugetheilt ist. Unverkennbar ist, dass die kunst-
gewerblich entwerfenden Maler und Bildhauer sich dem nicht
immer voll bewusst sind, denn sonst würden sie nicht so
überwiegend nur auf »Wirkung« hinarbeiten. Der tiefe Geist,
der angeblich in vielen ihrer Schöpfungen liegen soll, der
verdeckt jene Mängel nicht, weil diese leider häufig ein noth-
wendiger Bestandtheil dessen sind, was man als modern
bezeichnet.

Die Stimmen, die nach einer Wandlung der jetzigen
künstlerischen Ueberproduktion und Unreife verlangen, mehren
sich erfreulicher Weise. Man will endlich mal ausgereifte
Werke sehen, erntbare Früchte, nicht immer Blüthen und
Blumen, die über Nacht abwelken und keine Spur ihres
Daseins hinterlassen. — Die diesmalige Pariser Welt-Ausstel-
lung wird uns in manchen Dingen die Augen öffnen; wie
alle derartige Schaustellungen, wird auch sie voraussichtlich
einen Umschwung wirthschaftlicher und künstlerischer Ueber-
hastung herbeiführen. Nach Abbrennung des grössten Feuer-
werks gelangt auch die Sonne wie Mond und Sterne wieder
zu ihrem Rechte.

Es liegt nicht in der Aufgabe dieser Zeilen, aus den
vorliegenden Scabiosa - Motiven erschütternde Schlüsse zu
ziehen; eine abwartende Zurückhaltung war nie nothwendiger,
als gerade heute, da man so oft mit oberflächlichen Erschei-
nungen das verwerfliche Spiel geschäftlicher Reklame treibt.
Aber gesund, durchaus gesund und frisch sind die Kirch-
mayr'schen Schöpfungen. Mehr wollen sie nicht sein als

Ausdrücke eines rein künstlerischen Naturempfindens nach
Maassgabe der so häufig übergangenen Gesetzmässigkeit des
Wachsthums der Pflanzen. Kirchmayr ist nicht im geringsten
ein absoluter Neuerer oder gar ein Bahnbrecher; das will er
auch gar nicht sein, denn seine ganze Vergangenheit, sein
ganzes bisheriges Schaffen und Wirken würde dem Lügen
strafen. Er geht mehr reformatorisch vor; er bildet sich nicht
einmal ein, neue Ornamente erfinden zu können, wie solche
die Neuen und Jungen aus dem Aermel schütteln. Aber
unstreitig muthen uns seine neuesten Leistungen eigenartig
und persönlich an, und enthalten vielleicht doch so manchen
Fingerzeig, so manche beachtenswerthe Lehre von der un-
wandelbaren Schönheit des von der Natur als gut und ver-
nünftig, als lebensfähig erkannten Kernes jeglicher Entwicke-
lung von innen nach aussen. So gibt auch Kirchmayr nur
ein rein persönliches Bekenntniss von seiner Auffassung der
Wesenheit des Ornaments, in dessen Ableitung bezw. Zurück-
führung auf gesetzmässige Ordnung.

Aus diesen Spenden lässt sich etwas machen, denn un-
verkennbar haben wir keinen Ueberfluss an Schmuckbildungen,
die eine selbständige Verarbeitung zulassen. Die meisten
der jetzt üblichen Ziermitte] verleiten nur zu sehr zu gedanken-
loser Nachahmung; mit der Nachahmung ist aber stets ein
Schlechtermachen verbunden, und somit kommen wir nicht
vorwärts, sondern zurück. Fortbildungsfähig ist nur das, was
lebensfähig und fortpflanzungsfähig ist. Es genügt nicht die
blosse Daseinsäusserung; man muss nicht nur gelebt und
genossen, man muss auch gewirkt haben. Geht der Tanz
ums goldene Kalb so weiter wie bisher, dann wird die
Geschichte über die Mehrzahl der künstlerischen Aeusserungen
unserer Zeit den Stab brechen. Wir brauchen noch kaum
das Fazit der Pariser Ausstellung abzuwarten um den Beleg
zu gewinnen, dass wir so wie wir jetzt arbeiten, auf die Dauer
keine Vergangenheit gewinnen, auf die wir uns zu stützen
vermöchten, wenn wir das Leichtsinnige unseres jetzt so
revolutionär und ausgleichend sich gebärdenden Ueber-
menschenthums nach der Ohnmacht des grossen Katzen-
jammers erkannt haben werden. Die Menschen, die mit
25 Jahren schon so weit zu sein glauben, dass sie nicht über-
holt werden können, sind von durchaus krankhafter Veran-
lagung. Wie oft erdreistet sich ein Kürbis mit einer Eiche
zu wetteifern. Zeit und Raum, nie wird man sie überwinden;
wan wird sie verstehen so lange man das Verlangen hat, an
Stelle des Unvollkommenen Vollkommenes zu setzen, so lange
man noch die moralische Kraft hat, sich für ein Menschen-
leben lang — entwickelungsfähig zu halten. — Kirchmayr
hält sich noch mit 43 Jahren für jung genug, um noch lernen
zu können. Ein leuchtendes, nacheifernswerthes Beispiel!

Otto Schulze—Köln.

NOTIZ. Wir haben es für angezeigt gehalten, dass auch
einmal die Schatten-Seiten der »neuen Richtung« von sach-
verständiger Seite dargelegt werden. Hermann Kirchmayr,
der ja von der alten Tiroler Kunstweise ausgeht, bietet hierzu
eine gute Gelegenheit. Wir sind als die Ersten für den
Fortschritt und für die Bethätigung selbständigen künstlerischen
Schaffens im inneren Aushau eingetreten und man wird daher
nicht im Zweifel sein können, dass wir mit der Beleuchtung
der negativen Seite der »Moderne« nicht eine Bekämpfung
derselben überhaupt bezwecken. Wir sind vielmehr der An-
sicht, dass man eine gute Sache durchaus nicht fördert, wenn
man eine »Vogel-Strauss-Politik« befolgt und vor den gefähr-
lichen Elementen, welche derselben etwa anhaften, den Kopf
in den Sand steckt. Hier muss auch gelegentlich einmal ein
strenges Wort gesprochen werden zum Heile des Gesunden und
Werthvollen in der neuzeitlichen Bewegung. Die Schrifüeitung.
 
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