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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Bredt, Ernst Wilhelm: Emanuel Seidl und sein Wohn-Haus
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0224

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Seite 170. Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration. November-Heft.

Nun, von beiden Nachtheilen ist Seidl's Wohnung vollständig
frei — und um manchen bisher kaum bedachten Vortheil des
Dachgeschosses reicher. Nirgends sind schräglaufende Dach-
wände zu sehen, nirgends bemerken wir etwa Mansarden-
Fenster — ja die Fenster fallen uns überhaupt nie auf. Die
äusseren Wände der einzelnen Räume sind überall so weit
hineingerückt, dass sie senkrecht stehen und mit den korrespon-
direnden immer einen ziemlich hohen — oft sogar einen ausser-
gewöhnlich hohen Raum bilden. Die dadurch entstehenden
todten Räume aber sind zu äusserst willkommenen, geräumigen
Schränken und Neben - Gelassen verwendet oder auch zu
Nischen umgestaltet worden. Die Nachtheile des Daches sind
hier also zu Raum-belebenden, Raum-erweiternden Vortheilen
verkehrt worden. Raum-erweiternd besonders nach der Höhe,
da hier die Möglichkeit gegeben war, bald eine flache Decke,
bald ein hohes Tonnengewölbe zu bilden.

Bei der Fenster-Vertheilung befolgt aber Seidl, wie sein
Bruder Gabriel, wie Lenbach u. a. die künstlerische Tendenz,
nie den Eintretenden direkt in das freie Tages-Licht, das
selbst durch Gardinen hindurch meist noch blendend wirkt,
schauen zu lassen. Wir werden sehen, wie geschickt in allen
Räumen auf diese künstlerische Wirkung Bedacht genommen
worden ist. Dass die Lichtverhältnisse der einzelnen Räume
zu einander künstlerisch verwerthet sind, versteht sich bei einem
Architekten von Emanuel Seidl's Rufe von selbst. Die Licht-
verhältnisse gehen natürlich mit den einzelnen Farbenwerthen,
die Seidl fein zu einander zu stimmen weiss, Hand in Hand.

Die vom Treppenhause in die Eingangshalle eintretenden
Gäste empfängt zunächst ein mässiges Halbdunkel. Aber von
dieser Halle aus, deren weisse Decke von schweren dunklen

Marmor-Säulen getragen wird, und deren Stirnwand zwischen
zwei bronzenen Thüren durch eine kleine Nische belebt wird,
sehen sie nach rechts wie links in hellere festliche Räume.
Gleich der etwas tieferliegende, ganz auf weiss und gelb
gestimmte Raum, rechts von der Eingangshalle, ist erfüllt
von hellem, etwas kaltem Licht. Die Säulen der Eintritts-
halle, das grosse Mosaik, die vielen Blattpflanzen, die antiken
Möbel, das Podium mit dem gelbseidenen langen Divan
geben dem Ganzen etwas Atrium - artiges, Den Harfen und
Leiern, die da und dort liegen, scheinen soeben noch die
feinen, bleichen Hände koketter Damen Sirenenklänge entlockt
zu haben. Der Raum eignet sich jedenfalls vortrefflich dazu,
leichtem Tändeln und Musiziren sich — aktiv oder passiv —
hinzugeben. Seidl's Wohnung trägt überhaupt den Karakter
des Festlichen. Glänzende, bunte Gesellschaften, musikalische
und theatralische Aufführungen lassen sich hier ohne grosse
Vorbereitungen veranstalten. Die meisten Räume sind nicht
durch Thüren getrennt. So kann man beispielsweise von einem
grossen Gesellschaftsraume aus fast alle anderen, die sich meist
nicht im rechten Winkel aneinander anschliessen, überschauen.

Für die Damen ist ein im modernen englischen Stile
äusserst kokett gehaltenes Toilette-Zimmer in dem südlichen
Eckthürmchen. Die weisslackirten eleganten Möbel (Toilette-
tisch und Stühle) bilden auf dem schneeweichen Eisbärenfell,
das den kleinen runden Raum völlig bedeckt, ein äusserst
zierliches und überaus reizvolles Ganzes.

Der Raum links von der Eintrittshalle wirkt wie diese
noch etwas düster. Der breite, schwere Thürbogen soll vor-
bereitend auf den Eintritt in den dahinterliegenden höheren
und völlig hell erleuchteten Gesellschaftsraum wirken. Dieser
 
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