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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 11.1900

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Schölermann, Wilhelm: Vom Deutschen Wohnhaus- und Villenbau-Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.6712#0255

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Dezember-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 195.

Vom peutscheN Wohnhaus- unp Villenbau-Stil.

Von Wilhelm Schölermann, Kiel.

Seit über einem Menschenalter hatten wir Deutsche verlernt
und vergessen, Wohnhäuser wohnlich zu bauen. Diese
unumstössliche Thatsache tritt uns heute auf allen Strassen
und Wegen entgegen, wo immer das Bürgerhaus in seiner
ganzen Nüchternheit und Kümmerlichkeit von unserer eigenen
und unserer Eltern »Anspruchslosigkeit« nur allzu beredtes
Zeugniss ablegt. Wir lebten ohne zu wohnen, Es fehlte an
Verständniss dafür beim Bürger wie beim Baumeister. Man
hatte für den Begriff des Wortes »Heim« weder praktischen,
noch ästhetischen Bausinn, obwohl hier beides nothwendiger
Weise zusammenfällt, eines vom anderen unmittelbar abhängt.
Die Ausnahmen sind so vereinzelt gewesen, dass diese Regel
ganz allein durch sich selbst fast ausnahmslos dastand!

Doch wie das gesammte Kunstleben, so ist auch schliess-
lich die bürgerliche Baukunst in den letzten fünf Jahren bei
uns in Bewegung gerathen. Wo Alles in Fluss kam, da
durfte und konnte schliesslich doch das deutsche Wohnhaus
nicht stehen bleiben. Man kann den Umschwung deutlich
verfolgen und an Beispielen beobachten. Es geht wie eine
Erlösung durch die ganze starre, trostlose Oede unserer landes-
üblichen Cement-Verkleidung, und allgemach löset sich nun
der Fluch der Kalkwand an der Hausmauer, allwo der bau-
gelahrte Lügenstil in Stuck- und Klebe-Ornamenten ein halbes
Jahrhundert gebraucht hat, um sich »auszuleben«!

Schritt für Schritt gehen wir vor, manchmal mit Rück-

fällen, als da sind: falscher Marmor und Granit, Säulen- und
Fundament-Bekleidung mit angespritzter unechter Rustica
(vergieb uns, heiliger Semper!) oder anderweitige Reminis-
zenzen an die unselige Kalk-, Lehm- und Klebe-Architektur
der Zeit unserer geographischen und politischen Renaissance!

Im schlichten Ziegelsteinbau kam zuerst wieder das
Bedürfniss nach Ehrlichkeit zum Ausdruck, das so lange
geschlummert hatte. Verständige und einfache Häuschen, an
denen die Barock-Gesimse, Giebel-Aufsätze ä la Nürnberg,
Masken, behelmte oder beflügelte Heldenköpfe hellenischer
oder altrömischer Provenienz fehlten. mit einem Wort, der
ganze bisherige »Verunzierrath« zum ersten Mal sozusagen
»bewusst abgefallen« war, bildeten diese Vorstufe der Genesung.
Man konnte doch wenigstens einen tastenden Versuch, zu
bauen, d. h. Bausteine aneinander zu fügen und vernünftige,
zweckmässige Raumbedingungen zu schaffen, am Backsteinbau
wieder erkennen. Solide, theilweise sogar hübsche Steinmetz-
Arbeit kam dabei zum Vorschein. Es war ja vorläufig noch
mehr Geometrie und Zirkelmessung als Baukunst, aber doch
immerhin schon ehrliches Handwerk darin. Auch ein
»schüchterner Wagemuth zur Farbe« blickte daraus hervor:
zweierlei Roth trat neben dem hässlichen Grüngelb auf, in
geometrischen Mustern verwerthet, oft nicht ohne Reiz.
Freilich, die koloristische Konsequenz wagte man noch nicht
I zu ziehen: Farbe durch Gegenfarbe zu ergänzen und zu er-

Deütsche Bau-Ausstellung, Dresden, Juli—Oktober 1900.

Massiv eichengeschnitzte Treppe von Zimmermeister Julius Graeger, Bernburg.
 
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