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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 25.1914

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Breuer, Robert: Konstruktion, Spieltrieb, Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.7708#0249

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222

INNEN-DEKORATION

PROFESSOR EMANUEL VON SE1DL — MÜNCHEN

FRÜHSTÜCKSZIMMER IM KURHAUS BAD KREUZNACH

KONSTRUKTION, SPIELTRIEB, FORM

Tst es nicht merkwürdig, daß in einer Zeit, die den un-
JL geheurenOrganismen der Ozeandampfer eine ausdruck-
starke Form zu gewinnen wußte, die allen Instrumenten
des angetriebensten Verkehrs, der Lokomotive, dem Auto,
dem Luftschiff und dem Aeroplan nicht nur die technisch
beste, auch die optisch vollkommenste Formgestaltung
erkämpft, daß in einer Zeit, die um eine neue Monumental-
malerei ringt, die Marionetten eine Wiedergeburt erlebten,
die Kleinplastik eifrig gesammelt wird, eine neue Liebe
zu den Blumen und dem Porzellan jugendlich aufspringt?
Die Merkwürdigkeit solcher Gegenspiele läßt sich nicht
bestreiten; es ist indes nicht ganz zufällig, daß gleich-
zeitig die Porzellanmanufakturen und die Monumental-
bauten plötzlich wieder plastische Begabungen nutzen
können. Es ist dies vielmehr kennzeichnend für das Er-
wachen der beiden Empfindungsströmungen, die
der modernen Kunst den Charakter bestimmen: »Gotik«
und »Rokoko« . . . Rokoko und Gotik inmitten der Eisen-
konstruktion, der Speicherbauten, der Bahnhofshallen und
der weit gespannten Betongewölbe! Die Plastik stahl
sich sozusagen an die logisch gebundenen Fassaden heran
und hinein in die der »Zweckmäßigkeit« gehorchenden
Wohnräume . . . , es sind Auslösungen des Spiel trie-
bes, der durch die harte Logik der neuen Konstruktions-
gesinnung sich kaum zu äußern vermag .... Solche Disso-
nanzen, deren Reiz zu den glücklichsten Sinnlichkeiten
der Gegenwart gehört, lassen sich ebenso leicht begreifen
wie rechtfertigen, ja sie gehören notwendig in das Welt-
bild des modernen Menschen. Sie sind die Nerven-

stenogramme eines Geschlechtes, das ganz der Not-
wendigkeit verschrieben ist; sie sind die »Befreiungs-
schwingungen« von Menschen, die im übrigen an die
Gradlinigkeit eines nüchternen Alltages sich selber banden.
Eine restlose Analyse solcher psychologischen Zwittrig-
keit läßt sich heute noch nicht geben; sie ist vielleicht
aber nur die Bestätigung von dem Heraufkommen eines
neuen künstlerischen Zeitalters. Noch immer, wenn die
künstlerischen Leidenschaften hoch gespannt waren, wenn
die Sinne mit explosiver Heftigkeit nach dem Tanz der
Formen, nach dem Schwung des Rhythmus, nach der
Lyrik und dem Pathos der Maßverhältnisse lüstern
wurden, konnte sich nichts Sichtbares, weder das Größte
noch das Geringste, solcher Erregung entziehen. Auch
die Künstler selber stiegen in solchen Zeiten von den
Höhen zu den Tiefen, vom Vergänglichen zum Unsterb-
lichen, von dem simplen Gießgefäß zum Heldendenkmal.
Es ist ein untrügliches Anzeichen der künstlerischen Er-
neuerung, daß es sich überall regt: die Welt derForm
wieder entscheidend sein zu lassen. — r. br.

*

Immer von neuem ist der Wahn zu bekämpfen, als seien
die Werke der Kunst nicht für das ganze Volk, son-
dern nur für eine geschlossene Kaste der Gelehrten ge-
schaffen, als seien die künstlerischen Schöpfungen nicht
zum Genuß, nicht zur Veredlung des Sinnes, nicht zur
Befreiung aus den beengenden Banden der Wirklich-
keit, sondern zu Objekten des Streites, für die Recht-
habereien der sogenannten Kenner bestimmt. — lübke.
 
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