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INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT WALTER GROP1US-BERLIN.
SPEISEWAGEN. AUSF.: VAN DER ZVPEN & CHARL1ER
KÜNSTLERISCHE UND TECHNISCHE FORM
Der Kunst der vergangenen Jahrzehnte fehlte der
moralische Sammelpunkt. Es gab in dieser nur
materiell sich vorbereitenden Zeit kein geistiges Ideal
von so allgemeingültiger Bedeutung, daß der schaffende
Künstler über egozentrische Vorstellungen hinaus einen
allgemeinverständlichen Vorwurf daraus gewinnen konnte.
Auf allen Gebieten geistigen Lebens zersplitterten sich
die Meinungen, und die Kunst — die immer die geistigen
Erscheinungen ihrer Zeit darstellen will — war das ge-
treue Spiegelbild dieser innerlichen Zerfahrenheit. Das
Grundproblem der Form war ein unbekannter Begriff
geworden. Dem krassen Materialismus entsprach so ganz
die Uberschätzung vom Zweck und Material im Kunst-
werk. Uber der Schale vergaß man den Kern. Aber
mag nun auch gegenwärtig noch eine materielle Lebens-
auffassung überwiegen, Anfänge eines starken und ein-
heitlichen Willens zur Kultur sind heute unver-
kennbar. In dem Maße, wie die Ideen der Zeit über das
Materielle hinauswachsen, beginnt auch in der Kunst
die Sehnsucht nach einheitlicher Form, nach einem Stil
neu zu erwachen; die Menschen erkennen wieder, daß
der Wille zur Form doch immer das eigentlich
Wertbestimmende im Kunstwerk ist. Solange eben
die geistigen Begriffe der Zeit noch unsicher schwanken,
ohne ein einiges festes Ziel, solange fehlt auch der Kunst
die Möglichkeit, Stil zu entwickeln, d. h. den Gestaltungs-
willen der vielen in einem Gedanken zu sammeln. Es
beginnen sich langsam in unseren Tagen solche gemein-
samen Gedanken von weltbewegender Bedeutung aus
dem Chaos individualistischer Anschauungen abzulösen.
In den Riesenaufgaben der Zeit, den gesamten Verkehr
— die ganze materielle und geistige Menschenarbeit —
organisatorisch zu bewältigen, verkörpert sich ein unge-
heurer sozialer Wille. Mehr und mehr wird die Lösung
dieser Weltaufgabe zum ethischen Mittelpunkt der Gegen-
wart, und damit wird der Kunst wieder geistiger Stoff
zur symbolischen Darstellung in ihren Werken zugeführt.
Auf der stilbildenden Kraft des Darstellungs-
vermögens beruht nun die Schönheitswirkung einer
Kunstform, nicht, was immer wieder betont werden muß,
auf der Naturschönheit des Materiellen. Bei der ästhe-
tischen Wertung neuer Erscheinungsformen, die unter
dem Einfluß von Verkehr und Industrie entstanden sind,
hat man den Glauben an einen Stil der Zweckmäßigkeit
und des Materials erwecken wollen. Die Gesetze des
Materials und der Konstruktion dürfen aber
nicht mit denen der Kunst verquickt werden.
Die Ubereinstimmung der technischen Form mit der
Kunstform, der rechnerischen Stabilität mit der
dargestellten bedeutet zwar die letzte Vollendung für
jedes Werk der Baukunst — wie sich ja alles mensch-
liche Denken und Schaffen in einem letzten Endziel wieder
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT WALTER GROP1US-BERLIN.
SPEISEWAGEN. AUSF.: VAN DER ZVPEN & CHARL1ER
KÜNSTLERISCHE UND TECHNISCHE FORM
Der Kunst der vergangenen Jahrzehnte fehlte der
moralische Sammelpunkt. Es gab in dieser nur
materiell sich vorbereitenden Zeit kein geistiges Ideal
von so allgemeingültiger Bedeutung, daß der schaffende
Künstler über egozentrische Vorstellungen hinaus einen
allgemeinverständlichen Vorwurf daraus gewinnen konnte.
Auf allen Gebieten geistigen Lebens zersplitterten sich
die Meinungen, und die Kunst — die immer die geistigen
Erscheinungen ihrer Zeit darstellen will — war das ge-
treue Spiegelbild dieser innerlichen Zerfahrenheit. Das
Grundproblem der Form war ein unbekannter Begriff
geworden. Dem krassen Materialismus entsprach so ganz
die Uberschätzung vom Zweck und Material im Kunst-
werk. Uber der Schale vergaß man den Kern. Aber
mag nun auch gegenwärtig noch eine materielle Lebens-
auffassung überwiegen, Anfänge eines starken und ein-
heitlichen Willens zur Kultur sind heute unver-
kennbar. In dem Maße, wie die Ideen der Zeit über das
Materielle hinauswachsen, beginnt auch in der Kunst
die Sehnsucht nach einheitlicher Form, nach einem Stil
neu zu erwachen; die Menschen erkennen wieder, daß
der Wille zur Form doch immer das eigentlich
Wertbestimmende im Kunstwerk ist. Solange eben
die geistigen Begriffe der Zeit noch unsicher schwanken,
ohne ein einiges festes Ziel, solange fehlt auch der Kunst
die Möglichkeit, Stil zu entwickeln, d. h. den Gestaltungs-
willen der vielen in einem Gedanken zu sammeln. Es
beginnen sich langsam in unseren Tagen solche gemein-
samen Gedanken von weltbewegender Bedeutung aus
dem Chaos individualistischer Anschauungen abzulösen.
In den Riesenaufgaben der Zeit, den gesamten Verkehr
— die ganze materielle und geistige Menschenarbeit —
organisatorisch zu bewältigen, verkörpert sich ein unge-
heurer sozialer Wille. Mehr und mehr wird die Lösung
dieser Weltaufgabe zum ethischen Mittelpunkt der Gegen-
wart, und damit wird der Kunst wieder geistiger Stoff
zur symbolischen Darstellung in ihren Werken zugeführt.
Auf der stilbildenden Kraft des Darstellungs-
vermögens beruht nun die Schönheitswirkung einer
Kunstform, nicht, was immer wieder betont werden muß,
auf der Naturschönheit des Materiellen. Bei der ästhe-
tischen Wertung neuer Erscheinungsformen, die unter
dem Einfluß von Verkehr und Industrie entstanden sind,
hat man den Glauben an einen Stil der Zweckmäßigkeit
und des Materials erwecken wollen. Die Gesetze des
Materials und der Konstruktion dürfen aber
nicht mit denen der Kunst verquickt werden.
Die Ubereinstimmung der technischen Form mit der
Kunstform, der rechnerischen Stabilität mit der
dargestellten bedeutet zwar die letzte Vollendung für
jedes Werk der Baukunst — wie sich ja alles mensch-
liche Denken und Schaffen in einem letzten Endziel wieder