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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 25.1914

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Michel, Wilhelm: Selbstausprägung des Zeitalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.7708#0442

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412

INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT CARL STAHL IN BERLIN

ANRICHTE. OVALBILD VON CESAR KLEIN

SELBSTAUSPRAGUNG DES ZEITALTERS

Tausendfach ist dem Kunstgewerbe die Frage gestellt
worden: »Warum neue Formen?« Warum nicht
lieber Beharren bei den hundertfach erprobten, von Ge-
nerationen durchgearbeiteten Formungen der Väter? Ja
sogar die Freunde des Neuen mag diese Frage zu Zeiten
beunruhigen, wenn sie sich den unübersehbaren Formen-
vorrat vor Augen stellen, den die Menschheit im Laufe
der Jahrtausende hervorgebracht hat. Da gibt es aus den
Zeiten der Gotik, der Renaissance, der Königsstile tau-
senderlei ideale Stühle, Truhen, Schränke, Bauformen.
Die Form des christlichen Domes, wie die Gotik sie er-
dacht, — hat sie nicht etwas Endgültiges, Unzerstörbares?
Wer dürfte zu behaupten wagen, daß diese Bauform dem
Geiste oder dem Raumbedürfnis ihrer Zweckbestimmung
nicht mehr entspreche? Und dennoch gingen die Zeiten
über diese Formen hinaus. Ebenso hat die Form eines
Renaissanceschrankes oder eines Biedermeiersofas etwas
durchaus Endgültiges, d. h. sie ist schön, zweckentspre-
chend und materialgemäß. Aber das hinderte nicht, daß
man sie verließ, um zu neuen Formen überzugehen, sogar
zu solchen, die weder ebenso schön, noch ebenso brauch-
bar waren. — Warum das? Warum immer wieder dieses
gewagte Verzichten auf Alterprobtes zu gunsten neuer
ungewisser Form-Eroberungen? Ich glaube, darin liegt
nur das stolze Eingeständnis, daß es den neuen Zeiten im
Grunde genommen nicht auf die höhere »absolute Schön-
heit« ankommt, ja nicht einmal auf die höhere absolute

Brauchbarkeit, sondern auf ihre Selbstausprägung,
auf ihre Selbstgestaltung. Dies ist aller Zeiten wich-
tigste Angelegenheit: Einmal haben sie das große Recht
der Lebenden, darum drücken sie der bildsamen Erde
ihre Faust zu möglichst dauerhafter Spur auf. . . .

Das ist zu Nutzen derer gesagt, die jetzt noch dem
deutschen Kunstgewerbe mit Einwendungen von Seiten
der absoluten Schönheit kommen, die räsonieren: Das
Alte war schöner, darum zurück! Das Alte war reicher,
glänzender, üppiger, deshalb fort von der modernen
Armut! Das Alte ist ferner gesicherter in seinem Wert,
unveraltbarer, anerkannter vom öffentlichen Geschmack
und mehr zum Repräsentieren geeignet und zum Prunken;
deshalb fort mit den modernen Experimenten! — Allen
denen, die so sprechen, ist der Grundtrieb aller Entwicke-
lung nicht klar geworden. Gewiß, bewußter Weise strebt
jeder Meister einer neuen Zeit darnach, die alten Modelle
in jeder Hinsicht, also auch an Schönheit, an Brauchbar-
keit, an Reiz und Geschmack zu übertreffen. Aber dem
individuellen Willen der Zeitalter ist lediglich an seiner
starken Selbstausprägung gelegen. Es sucht das
Zeitcharakteristische, das Zeiteigene. Und nicht
das Jahrhundert hat seine Pflicht getan, das alte Schön-
heit immerfort kopierend wiederholte, sondern das Jahr-
hundert, das seinen Ausdruck hinterließ, einerlei,
ob seine Schöpfungen nun wirklich auf allen Gebieten
einen Zuwachs an absolutem Wert, an Schönheit, Brauch-
 
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