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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 39.1923-1924

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Fischer, J. L.: Glasgemälde von Sepp Frank
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https://doi.org/10.11588/diglit.14151#0041

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die Kräftigung der künstlerischen Formen, und
die Ästhetik der Glasmalerei wird von nie-
mandem ernstlich mehr bestritten.

Die Glasmalerei ist reine Flächenkunst, de-
korativ, monumental. Auf Fernwirkung ange-
wiesen, muß sie mit ganz großen Mitteln und
Formen arbeiten und ist demnach vorwiegend
zeichnerisch lineare Kunst, verwandt mit der
Manier des Holzschnitts oder den herben Kon-
turen der karolingischen Buchillustration. Wäh-
rend die Tafelmalerei, überhaupt alle Bildnis-
kunst, durch das dreidimensionale Gesetz der
Körperlichkeit, Raumgestaltung, Perspektive
Hintergründe schafft, vertieft, also den Vorder-
grund von dem oft sehr weit entfernten Hin-
tergrund und horizontalen Abschluß trennt,
kennt die Ästhetik der Glasmalerei nur zwei
Dimensionen: Höhe und Breite, verflicht Vor-
der- und Hintergrund zu einer einzigen Fläche,
trennt nicht, sondern verbindet. Der Hinter-
grund wird sozusagen zum Nebeneinander. Die
Zeichnung selbst ist stets monumental, einge-
denk der Abstammung von den primitiven aber
gewaltigen Urahnen jener Zeit, in der das Blei-
netz, das die verschiedenfarbigen Gläser wie
Inseln umzog, trennte und in dieser Trennung
verband, die einzige Zeichnung darstellte (wie
in der heutigen Praxis der Kunstverglasung).
Von der Breite und schlichten Größe der Blei-
kontur übernahm das Schwarzlot, die einzige
Malfarbe, die man in der Blütezeit der Glas-
malerei kannte, seine Gesetze. Es waren breite,
mächtige und nur das Wesentliche angebende
Striche, von denen die modernen Expressio-
nisten gelernt und ihre ganze Formsprache ent-
lehnt haben, dem Malerischen, bei dem alles
ineinander fließt, diametral entgegengesetzt.
Auch in der Farbe mußte die Moderne den
Rückweg aus der Irre finden, in die die Männer
um Ludwig I. und ihre Nachfolger unter dem
Einfluß der Tafelmalerei geraten waren. Wäh-
rend diese eine unendliche Fülle von Tönen,
Nuancen, Schattierungen kennt, die nicht scharf
voneinander getrennt sind, sondern ineinander
wachsen, gibt es in der Glasmalerei verhältnis-
mäßig wenige, aber volle, eindeutige, satte Far-
ben, die von dem Blei getrennt und nicht etwa
von einander angesaugt werden. Ursprünglich
waren die Glasmaler so streng, daß sie nicht
einmal Licht und Schatten duldeten. In der
Spätgotik erst übte man die Technik des Wi-
schens sichtlich unter dem Einfluß der unver-
gleichlichen Stimmung, die das Glasgemälde mit
der Länge der Zeit durch die Patina bekommt.

Diese kurzen Bemerkungen über die Ästhetik
der Glasmalerei mußten vorausgeschickt werden,
da sie leider noch lange nicht Gemeingut der
Kunstverständigen, geschweige denn der All-

gemeinheit sind und weil ohne deren Kenntnis
nicht verstanden wird, was wir über Sepp Franks
Glasmalereien zu sagen haben. Das Grundge-
setz der reinen Flächigkeit ist auch für Frank
Ausgangspunkt aller Komposition und des Auf-
baues. Die Figuren stehen im, nicht vor dem
Grund, der das Rückwärts abschließt. Beson-
ders deutliche Beispiele dafür sind „Der Schwö-
rende", der mit dem Hintergrund so organisch
verwachsen ist, als kämen die Bleikonturen wie
Strahlen aus dem Leibe. Ähnlich die „Lesende
Figur" mit dem Spruch Ora et labora. Auch da,
wo die Natur, überhaupt „das Freie" als Hin-
tergrund in Betracht kommt, finden wir dieselbe
unbedingte Flächigkeit, so auf dem Glasgemälde
„Musik" oder auf der wuchtig starken Dar-
stellung „Carpe diem". Noch deutlicher zeigt
sich dieses Prinzip der Flächigkeit in der Kom-
position von Gruppen. Wenn wir beispielsweise
das Glasgemälde „Inter folia fructus" betrach-
ten, so bemerken wir wenigstens drei bis vier
räumliche Schichten: zuvorderst die weibliche
Figur mit Buch und Frucht, hinter ihr den
Mann im langen Talar, dahinter eine dritte
Person und schließlich den gemeinsamen Hin-
tergrund. Dieses Gefühl des gestuften Hinter-
einanders aber wird aufgehoben und zur einen
Fläche dadurch, daß alle Verkürzung vermieden
und auf jegliche Perspektive verzichtet wird.
Noch klarer ist dies in der Gruppe mit der
griechischen Inschrift. Der Weisheitslehrer mit
dem aufgeschlagenen Buch und mit der Redner-
geste sitzt nicht mehr im Vordergrund, als der
neben ihm Stehende oder der sich über ihn
beugt, oder jene, die „hinter" ihm stehen. Es
ist die Anspielung auf einen alten griechischen
Philosophen im Kreise seiner Schüler, wie die
Stimmung und überdies auch die griechische
Beischrift „Erkenne dich selbst!" beweist, die
bekanntlich am Apollotempel in Delphi ange-
bracht war.

Wie in der Flächigkeit, so hat Frank auch
in der Konturierung das Wesen der Glasmalerei
scharf und sicher erfaßt. Breite mächtige Linien,
die ihre Abstammung vom Blei deutlich zeigen,
geben die Hauptlinien. Sie sind vorwiegend
linear oder geometrisch gebrochen (Winkel-
und Dreiecksform, besonders bei den Falten der
Gewänder). Nur ganz wenige gekrümmte For-
men finden sich, so am Ärmel des Philosophen.
Die Gesichter und Glieder der Körper tragen
die gleiche Strenge und Linie der Zeichnung,
bekommen dadurch ihre Eindringlichkeit, Härte
und Größe, und sind völlig frei von der Weich-
heit, mit der die Glasmalerei sonst nur zu häufig
arbeitet. Die Lichter und Schatten bilden Kon-
traste, sind monumental und kantig, nicht etwa
verbindlich wie auf einem Ölgemälde.

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