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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 1.1900-1901

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Ein weiteres Mittel zur Förderung des Kunstgewerbes in Elsass-Lothringen
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Dr. Geissenberger: Förderung des Kunstgewerbes in Els.-Lothr.

und Gelegenheit geboten werden könnte,
ihr bestes Können zu zeigen. Auf diesem
Wege ist u. A. der badische Kunst-
gewerbeverein vorgegangen, der i885
ins Leben trat und gegenwärtig über
600 Mitglieder zählt. Der Verein, unter
der Leitung des Direktors der Karlsruher
Kunstgewerbeschule, Professor Götz,
entfaltete bisher eine ungemein erspriess-
liche und nutzbringende Thätigkeit.
Er giebt eine eigene Vereinszeitschrift
heraus und leistet einen namhaften Jahres-
beitrag zum Kunstgewerbemuseum. Zahl-
reiche Stiftungen und bedeutende Ueber-
schüsse von mehreren Ausstellungen setzten
den Verein in die Lage, eine Anzahl
Schülerpreise zu stiften und jüngeren,
begabten Kunsthandwerkern Unterstütz-
ungen zu verschaffen. Die Landesregierung
fördert letztere Bestrebungen durch eine
jährliche Beihilfe von mehreren tausend
Mark. Schliesslich sei noch erwähnt, dass
seit 1877 auch in Pforzheim ein Kunstge-
werbeverein existirt, der spezielle Zwecke
verfolgt, insbesondere die Verstärkung und
Erhöhung der Wechselwirkung zwischen
der dortigen städtischen Kunstgewerbe-
schule und den praktischen Bedürfnissen
der Bijouteriefabrikation. Die Mitglieder-
zahl beträgt 1611. Die Thätigkeit des
Vereins erstreckt sich auf Preisausschrei-
ben, Ausstellungen, Abhaltung von Vor-
trägen, Unterhaltung einer Bibliothek mit
Zeichen- und Lesezimmer, sowie auf
Herausgabe von Musterblättern für Bijou-
terie in Lichtdruck und Holzschnitt. Die
nach und nach erheblich angewachsene
Sammlung von antiken und modernen
Schmuckgegenständen ist in dem im Jahre
1893 errichteten Kunstgewerbemuseum
untergebracht, aus welchem die Mitglieder
Vorbilder entleihen können. Ausser der
Sammlung des Vereins und der Schule
befindet sich in dem Museum eine ganze
Anzahl Privatausstellungen von Fabrika-
tionsgeschäften : fertige Bijouteriewaaren,
Halbfabrikate, Estamperieartikel, Chatons
und Galerien, ächte Steine und Imitationen,
Emailmalereien, Legirungen, Bijouterie-
papiere, etc. Seit 1894 giebt der Verein,
in Verbindung mit ähnlichen Vereinig-
ungen, eine Fachzeitschrift heraus. Die
Mitglieder erhalten das Blatt gratis.

So sehen wir, wie anderwärts durch
grössere Vereinigungen kunstsinniger Bür-
ger an der Förderung des einheimischen
Kunstgewerbes gearbeitet, wie der Hand-

werker durch Wort und Beispiel auf
jenem Gebiete angeregt wird, wo die
Konkurrenz der Fabrik aufhört oder wo
sie in wirksamer Weise bekämpft werden
kann.

Ich stehe weder auf dem Standpunkt,
dass das Handwerk, wie es vielfach auch
in wissenschaftlichen Kreisen empfohlen
wird, allein noch durch den Uebergang
zum Kunstgewerbe «gerettet» werden
könne, noch glaube ich, dass es durch
das Mittel organisatorischen Zusammen-
schlusses oder der angeregten Unter-
stützung eines Kunstgewerbevereins in
seinem ganzen Umfange zu erhalten sei.
Wohl aber meine ich, dass die heran-
wachsende Generation im Handwerk auf
eine höhere allgemeine und fachliche
Bildung, eine wirtschaftliche Erziehung,
wie sie den veränderten Zuständen ent-
spricht, vorbereitet werden muss, wenn
die Handwerker nicht auf die niedere
Stufe gewöhnlicher Handarbeiter herab-
sinken sollen. Die jungen Handwerker
sollen sich den Anforderungen gewachsen
fühlen, die das hochentwickelte städtische
Berufsleben an sie stellt. Dann werden sie
vor allen Dingen eine wirthschaftliche
und sociale Besserstellung erfahren; sie
werden aber auch jenes nicht hoch genug
anzuschlagende ethische Gefühl wieder
erlangen, das für alles gedeihliche Schaffen
erforderlich ist, die Freude an der Arbeit.

Eine Organisation etwa in dem vor-
geschlagenen Sinne vermöchte meines
Erachtens nicht Geringes zur Förderung
des Kunstgewerbes in Elsass-Lothringen
beizutragen. Die bereits in grösserer An-
zahl bestehenden Gewerbevereine und
sonstigen Handwerksvereinigungen ver-
folgen selbstverständlich ganz andere Ziele.
Ihre Aufgabe besteht in erster Linie in
der Vertretung allgemeiner Handwerker-
angelegenheiten oder specieller Fach-
interessen. Ein Kunstgewerbeverein sollte
sowohl hinsichtlich seines Personenkreises
als auch in Bezug auf seine Wirksamkeit
ganz anders geartet sein und ausserhalb
der gewerbepolitischen Actionen stehen.
Er müsste gewissermasen den Mittelpunkt
geistiger Anregung auf kunstgewerblichem
Gebiete bilden und kunstverständige Män-
ner des Landes, die für die kleine Kunst
ein Interesse haben, in möglichst grosser
Zahl umfassen.

Dir. Dr. Geissenberger.
 
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