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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 1.1900-1901

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Kritische Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.6476#0133

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tf. Trunk: Die deutsche Wohnungseinrichtung.

schöpflichen Formenreichtum neben der
Rücksicht auf unsere ureigensten Be-
dürfnisse zu neuen Kunstformen führen
könne. Was viele im stillen erhofften und
wünschten, bildete für wenige zielbewusste
Künstler seit Jahren das klar erkannte
Ziel ihrer Bestrebungen. Owen Jones hatte
in seiner Grammatik der Ornamente schon
im Jahr 1868 auf diesen Weg gewiesen
und in einfachen, klaren Sätzen seine
Vorschläge gemacht; schade, dass man
sie bei uns nicht eher schon zu würdigen
wusste.

Unsere Reformatoren blieben lange
genug vereinzelt, ihre Bestrebungen fan-
den bei Berufenen und Unberufenen wenig
Beachtung; die Vertreter der durch be-
sondere Umstände an Wertschätzung ge-
stiegenen hohen Kunst betrachteten das
Kunstgewerbe sammt seinen Jüngern als
tief unter ihnen stehend. Es ist ein beson-
deres Verdienst jener Pfadfinder, wenn
sie sich durch die misslichen Verhältnisse
in ihrem Streben nicht beirren Hessen.
Der eigenen Kräfte waren aber doch zu
wenige, der Anstoss zu einer gründlichen
Umwälzung musste von aussen kommen,
sollte nicht die junge Bewegung nach den
ersten Schritten stecken bleiben. Wie
schon früher bemerkt, waren in England
die Gegensätze zwischen hoher und an-
gewandter Kunst nie so scharf; die sog.
Präraphaeliten, welche die tüchtigsten
Kräfte in sich schlössen, bekundeten reges
Interesse für die handwerkliche Kunst,
dazu kam der glückliche Umstand, dass
der Engländer seiner Wohnung — auch
unter den einfachsten Verhältnissen —
eine höhere Wertschätzung angedeihen
lässt. Das Streben nach einer Volkskunst
führte zur Gründung von Organen, welche
die Bewegung illustrirten — der «Studio»
fand den Weg in alle Welt. In Deutsch-
land fand die neuenglische Art 'rasch
Anhänger und unter denjenigen mit leicht
umstimmbaren Grundsätzen ihre Nach-
ahmer, sodass die Annahme berechtigt
schien, es fehle hier die nötige Kraft,
etwas Selbständiges zu schaffen. Daran
fehlte es keineswegs, aber an Gele-

genheit zur Bethätigung. Der schönste
Entwurf auf dem Papier ist unnütz, wenn
er den Weg in die Praxis nicht findet;
nur in der Ausführung zeigt sich der
Wert einer neuen Idee.

Die ersten, die nun mit Entschiedenheit
den Weg des Neuen beschritten, waren
merkwürdigerweise die Maler — ob die-
selben als Vertreter der hohen Kunst
sich nicht am richtigen Platz wähnten
oder ob plötzliche Begeisterung für die
angewandte Kunst sie veranlasste, die
Palette aus der Hand zu legen und zum
Handwerk herabzusteigen, zu schreinern,
zu töpfern und zu schmieden, ob der
Grund für das Umsatteln materieller Natur
war, ist gleichgültig. Dass es diesen Künst-
lern am handwerklichen Können, an der
zur Bemeisterung des Stoffes nötigen
praktischen Erfahrung gebrach, musste
sich freilich bei ihren ersten Leistungen
zu erkennen geben, aber Beharrlichkeit
überwand die Klippe und mit der Aus-
stellung, mit welcher die Gruppe der
Neuen 1897 vor die Oeffentlichkeit trat,
kam die Bewegung in raschen Fluss.
Künstler und Handwerker vereinigten sich
zu gemeinsamem Handeln. Ausstellungen
und eine Reihe von Zeitschriften suchen
in Wort und Bild die grossen Massen für
ihre Ziele zu interessiren.

Alles Neue erweckt Misstrauen, und
wenn anfangs die Praktiker des Hand-
werks, die ausführenden Kräfte auf das
plötzlich erwachte, allzuhastige Vorwärts-
drängen der Neuerer mit gemischten
Gefühlen schauten, so ist ihr Zurückhalten
leicht erklärlich. Bei den kunstgewerblich
arbeitenden Künstlern war Wollen und
Können noch nicht im Einklang, persön-
licher Ehrgeiz und Originalitätssucht, die
den Konkurrenten übertrumpfen wollte,
Hess verschiedene weit übers Ziel hinaus-
schiessen. Sie schufen Wohnungseinricht-
ungen, deren Formenelemente, ein Wirr-
warr heftig gestikulirender Linien, die an
Teppichen und Wänden die Form un-
zähliger Fragezeichen annahmen, sicher
nichts zur Nervenberuhigung beitrugen.
Bei allen zeigt sich das Bestreben, die
 
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