Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 1.1900-1901

DOI Artikel:
Hoepfner, Hugo: Die neue Richtung und die Kunstgewerbeschulen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6476#0147

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Höpfner : Die neue Richtung und die Kunstgewerbeschulen.

burger Kunstgewerbeschule der Unterricht
eingeteilt im Gegensatzzu anderen Anstalten,
wo meistens gleich nach der Vorklasse
die Schüler auf ihr Fach dressiert werden.
Dass sie dann einseitig werden, ist erklär-
lich, da ihnen die vielseitige eingehende
freikünstlerische Vorbildung fehlt, die es
ihnen allein ermöglicht, den Kampf mit
der neuen Bewegung erfolgreich bestehen
zu können.

Ich will noch hinzufügen, dass die
Werkstattschüler der Strassburger Kunst-
gewerbeschule, die Schlosser, Schreiner,
Ciseleure und Keramiker dieselbe allge-
meine Vorbildung erhalten, sodass sie
ihre Arbeiten selbst componieren und
direct practisch ausführen können.

Es ist klar, dass der Unterricht, auf
diese Weise gehandhabt, für Schüler und
Lehrer ungleich interessanter, wenn auch
anstrengender ist, wie nach dem alten
System. Während früher der Schüler
wochen- und monatelang an einer Arbeit
herumtüftelte, ist in dem Unterricht bei fort-
währendem Wechsel: heute skizzenhafte
Wiedergabe, morgen fertige Ausführung,
heute Stift, morgen Farbe, ein Eingreifen
des Lehrers immerfort nötig, um den
Schüler auf den richtigen Pfad zu leiten.
Es mag dies wohl auch mit ein Grund
sein, warum ältere Anstalten sich ablehnend
gegen einen neuen Lehrplan verhalten.

Was bei dem Bruch mit dem Alten
erreicht werden kann, zeigen nicht nur die
Erfolge der Strassburger Schule, sondern
auch die Ausstellung der reorganisierten
Wiener Kunstgewerbeschule, mit ihrem
verplüffenden Einfluss auf die Landes-
industrie, ferner das Zimmer der Darm-
städter Künsterlercolonie, sowie die Aus-
stellung der verschiedenen vereinigten
Werkstätten auf der Pariser Weltaus-
stellung, die auf ähnlicher Grundlage
arbeiten. Diese Werkstätten haben ausser-
dem den Vorteil vor den Kunst-
gewerbeschulen voraus, dass sie sich ihre
Leute aussuchen können, und während
die Schulen mit einem Baiast von unta-
lentierten Leuten, die einen grossen Teil
der Lehrkraft in Anspruch nehmen, sich

herumschleppen müssen, können diese
mit einer kleinen Zahl tüchtiger Leute
ohne Zeit- und Kraftverlust ans Werk
gehen.

Der letzte Punkt, die strenge Auswahl
der Schüler und hiermit die Beschränkung
der Zahl, wird lange nicht genug beachtet.
Der Ausfall von Schulgeld brachte dem
Lande hundertfachen Nutzen. Das Kunst-
handwerk bekäme nur tüchtige Leute von
denen ein Einziger mehr Nutzen brächte,
wie 50 Stümper. Ist es gelungen den
Zeichenunterricht so zu reorganisieren,
dass künstlerisch geschulte Zeichenlehrer
vom ersten Strich an den Unterricht
leiten, schon dem jünsten Schüler Ge-
schmack ' und Gefühl zugleich mit den
practischen Zeichenübungen beibringen
und das Verständnis zum Naturstudium
durch Zeichnen nach künstlerischen, wenn
auch noch so einfachen Vorlagen, an-
bahnen, ist es gelungen, durch einen Unter-
richt, wie ihn die Japaner geschaffen haben
und die Engländer immer mehr bei sich ein-
führen, das künstlerische Verständnis an-
zuerziehen wie Lesen und Schreiben, dann
haben es auch die Kunstgewerbeschulen
leichter im Erreichen ihrer Ziele. Wie die
Verhältnisse jetzt liegen, sollte man weniger
talentierte Leute lieber erst in die Praxis
stecken, und wenn sie dort etwas gelernt
haben, sie erst einige Semester die Schule
besuchen lassen, wo sie dann freilich auch
noch keine Künstler würden, aber doch
mehr profitierten, als wenn sie mit 14 Jahren
ohne Talent und ohne das Bewusstsein, was
sie eigentlich wollen, einfach weil die Eltern
es so für gut finden, die Bänke drücken.

Die Gewohnheit, wie bei anderen
wissenschaftlichen Schulen, in denen durch
Sitzenbleiben die räudigen Schafe aus-
rangiert werden, auch bei Kunstgewerbe-
schulen die Anzahl der Zöglinge als
ausschlaggebend für die Existenzberech-
tigung anzusehen, ist deplaciert; nicht die
Masse nutzt dem Kunstgewerbe, sondern
tüchtige Menschen, herangebildet durch
vielseitige individuelle, liebevolle Unter-
weisung in allem Schönen und besonders
im Studium der Natur!
 
Annotationen