Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1883

DOI Artikel:
Pecht, Fr.: Das deutsche Kunstgewerbe und die Ausstellungen, [1.]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 5. Dez. 1882
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7027#0027

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das deutsche Lnnstgewerbe und die Ausstellungen.

Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 5. Dezember ^882 von Fr. pecht.

LR die allmählige Entwick-
lung unserer Kunstindustrie seit
20 Jahren genauer betrachtet
und sich an ihren glänzenden
Fortschritten erfreut, der kann
unmöglich verkennen, daß sie
zumeist durch Ausstellungen großgezogen worden ist. Nicht daß

sie etwa die Antriebe zum künstlerischen Schaffen auf ihnen allein
oder auch nur vorzugsweise empfangen hätte, die holte sie
bei den Werken unserer Väter. Aber dadurch, daß die Aus-
stellungen ihr erst das richtige Fundament, das Bedürfniß
geschaffen, die Abnehmer herbeigebracht, ihr ein Publikum
gewonnen haben, welches ihre Fortschritte mit täglich
wachsendem, jetzt nahezu leidenschaftlichem Interesse und
einer oft überraschend großen Vpferwilligkeit verfolgt, was
alles vor zwanzig Jahren noch nicht im Entferntesten exi-
stirte. — Ja, es hat sich nachgerade erwiesen, daß die
Ausstellungen gerade darum eines der wichtigsten Mittel
unserer gesammten modernen Kultur wurden, weil sie es
sind, welche unserer Kunst und Industrie erst wieder einen
wahrhaft volksthümlichen Boden gewonnen, sie vor dein
traurigen Loose bewahrt haben von den Liebhabereien, ja
Launen einzelner vornehmer oder reicher Mäcene und Pro-
tektoren abzuhängen. Daß es jetzt ebensowenig die Künstler
sind, die allein den Ton angeben, als ihre Abnehmer, daß
vielmehr erst aus den: Zusammenwirken beider, der Pro-
duzenten und der Konsmnenten, die Kunstindustrie ihre Im-
pulse empfängt, darnach den Styl ihrer Erzeugnisse formt,
dieses allein richtige und gesunde Verhältniß wurde bloß
durch die Ausstellungen ermöglicht. Denn auf ihnen konnte
der einzelne Liebhaber nicht nur, sondern die ganze Nation
vergleichen, hier spricht ferner das Erzeugniß ganz allein
für sich selbst, während in der Werkstätte, beim einzelnen
Industriellen oder Künstler, die Möglichkeit der Vergleichung
und Abwägung mit Anderem wegfällt. Dafür aber alle
Keberredungskünste und persönlichen Einflüsse sich geltend
machen, mit den Käufer zu kaptiviren.

Für alle aufstrebenden Talente, für Anfänger ohne
Ruf und persönliche Bekanntschaft sind daher unparteiisch
geleitete Ausstellungen das weitaus beste Mittel, um ihnen
das Auskommen und eine gerechte Benrtheilung, die Erringung
der Aufmerksamkeit zu sichern, wenn sie eine ächte Begabung
haben. Die Ausstellungen sind also eine wesentlich demo-
kratische Institution, denn sie sichern die Gleichheit des
Rechts und der Ansprüche für die Produzenten. Aber
nicht nur für diese, für die Konsumenten, ja für die ganze
Nation thun sie das kauni weniger. Oder ermöglichen
nicht sie allein dem Aermsten ganz ebenso wie dem Reichen
sich an Werken der Kunst, der Industrie zu erfreuen, die
er sonst niemals zu sehen bekommen hätte? Das ist ja
gerade der wahrhaft göttliche Tharakter alles Kunst-Schönen,
daß es wie die Sonne alle erleuchtet und erwärmt; die

Ausstellungen aber sind es heutzutage fast allein, welche
ihm die Möglichkeit verschaffen, diesen seinen Beruf in
weitestem Maße zu erfüllen! Früher thaten das die Werke
der monumentalen Kunst, in erster Linie die Kirchen. Sie
waren ja die eigentlichen Museen des Mittelalters und es
ist gar nicht zu leugnen, daß die außerordentliche Auf-
opferung, welche die Bevölkerungen oft ganz kleiner Städte
und Gemeinden Jahrhunderte durch bei ihrem Bau be-
thätigten, nicht zum Mindesten der Empfindung zuzu-
schreiben war, daß diese Monumente jedem gleich gehörten,
daß derAermste sich an und in ihnen ebensogut erbauen konnte
als der Reichste, so daß es gar oft seinen größten Stolz aus-
machte, wenn er zu ihrem Schmuck auch mit beigetragen.
Zeigte ein solches Münster eine wahre Aeberfüllung von
Werken des Kunstgewerbes, der Schmiedekunst, Schnitzerei,
Glasmalerei, Bronzegießerei, der köstlichsten Geräthe, so
trug nichts so sehr als der beständige Anblick dieser Dinge,
die persönliche Betheiligung an ihrer pervorrufung durch
Opfer und Spenden auch des Aermsten dazu bei, Kunst-
liebe und Verständniß, Freuds an der Verzierung so in alle
Kreise zu tragen. Nun, meine perren, die Rolle, welche
damals den Kirchen und Monumentalbauten zukani: die
Werke der Kunstfertigkeit zum Gemeingut Aller zn machen,
sie ist heute zum weitaus größten Theil den Ausstellungen
zugefallen! Der Dienst des Schönen ist glücklicherweise
immer ein Gottesdienst, ob er im Dom oder im Aus-
stellungspalast vor sich gehe! Wesentlich ist daran nur
das, daß er in Gemeinschaft mit unzähligen Anderen
stattfindet, denn es ist eben die Gemeinsamkeit der Empfind-
ung, der Freude, der Bewunderung, das Bewußtsein, daß
Tausende mit uns in derselben edlen Begeisterung und An-
dacht übereinstimmen, die ihr erst die rechte Weihe, den
eigentlich religiösen Tharakter gibt. Dieser andächtigen
Stimmung der Beschauer aber werden Sie in jeder größeren
Ausstellung an den Stellen sofort begegnen, wo wie z. B.
im Münchener Saal der Nürnberger Exposition recht viel
Köstliches versammelt war.

Ganz besonders aber ist das deutsche Kunstgewerbe
den Ausstellungen verpflichtet. Erst durch sie kam die
Masse der Gebildeten wieder zum vollen Bewußtsein, daß
ani Ende ein kunstreich geschmiedetes Gitter, die Arbeit
eines köstlich eingelegten Schrankes, eines zierlich emaillirten
Schmuckes, eines persischen Teppichs mit seiner entzückenden
Farbenpracht ebensogut Kunst seien, als es Skulpturen und
Architekturen oder bestimmte Gegenstäude darstellende Oel-
bilder sind: daß ihre Mischung von wohlthuend spielenden
Formen, bezaubernden Farbentönen ganz ebenso hinreißend
wirken kann, als jene oder als die musikalische Harmonie.
Sie sind eben Lieder ohne Worte, Melodien ohne Text.

Mit dieser wiederkehrenden Anerkennung aber wuchs
erst der edle Stolz und die Selbstachtung der kunstgewerb-
lichen Meister. Schufen sie einst zur größeren Ehre Gottes,
wie man das nannte, so schaffen sie jetzt aus Freude am
Schönen, am Ruhm, an der Anerkennung und Bewunderung
ihrer Mitbürger. Es ist das ganz dasselbe Motiv, nur
anders benannt; denn das Schöne jeder Art ist ja auch
 
Annotationen