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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1883

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Hirth, Georg: Neue Kunst in alten Bahnen: Kritische Betrachtungen
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4- H8 ^4-

Neue Kunst in alten Bahnen.

Kritische Betrachtungen von Georg Hirth.



IR schwelgen in der Entdeckung
alter Kunst und Schönheit. Da ist
kein auch noch so entlegenes Zeit-
alter, dessen Kulturarbeit uns nicht
irgend eine künstlerische Seite dar-
böte. In den primitiven Geräthen
der Pfahlbauern sogar ahnen wir das Walten künstlerischer
Begabung; um wie viel mehr zollen wir unsere Bewunder-
ung de» kunstgeübten fänden, deren Werke wir in dem
Jahrtausende alten Schutt altasiatischer und althellenischer
Kultur finden, was uns der vollendete Stil der Römer,
dann das christliche Alterthum, was uns das Mittelalter
im Osten und Westen, was uns endlich die „Wiedergeburt"
der Antike im s6. Jahrhundert mit ihreu Ausläufern, dem
Baroeco, Rococo, Rocail und Zopf, was uns Indier,
Chinesen und Japanesen darbieten — Alles zieht uns an,
sofern wir darin Offenbarungen jenes göttlichen Talentes
erkennen, welches selbst die Materie mit dem Hauche der
Unsterblichkeit zu berühren vermag.

Mit dieser Vielseitigkeit des kunsthistorischen Interesses
hält die Nachahmungslust fast gleichen Schritt. Das ist an
sich kein befremdlicher Vorgang. Es hat niemals eine hohe
Kunst gegeben, die nicht auf den Schultern einer vorauf-
gegangenen, verhältnißmäßig hohen Entwicklung gestanden
hätte. Und gerade die Renaissance des Cinquecento zeigt
uns, wie auch auf den: Wege der Wiederentdeckung, der
Forschung und Schatzgräbcrei eine längst untergegangene
Kunst neue kräftige Triebe ansetzen konnte. Im Gegentheil,
daß wir heute so eifrig danach trachten, die alten Herrlich-
keiten in unser Alltagsleben herüberzunehmen und damit
unser Heim zu schmücken, unsere Bedürfnisse zu adeln —
gerade das ist ein glückliches Zeichen für die Zukunft unserer
Kunstbestrebungen. Nur scheint es mir, als ob wir bei
der Ueberfluthung mit antiquarischen Vorbildern der Gefahr
einer, — sagen wir einer „Ueber-Reproduktion^ aus-
gesetzt wären, welche die vielversprechenden Keime einer
neuen eigenen Schaffenskraft fast zu schädigen droht.

Ich meine damit nicht, daß wir uns gegen irgend
einen historischen Stil aus nationalen Gründen oder gemeinen
Nützlichkeitsrücksichten grundsätzlich ablehnend verhalten sollten;
warum sollen wir nicht das Schöne, uns Anmuthende nehmen,
wo wir es finden? Nein, meine Bedenken richten sich zu-
nächst nur gegen die „sklavische Nachahmung", und zwar
wiederum nur unter einer ganz bestimmten Voraussetzung.
Denn wer wollte auch die reine Kopie schlechtweg verdammen;
sie ist eine treffliche Schule der Geschmacksbildung, eine Quelle
unverdorbenen Genusses und guter Lehre. Aber es gibt
eine Grenze, über welche hinaus die Kopie nicht mehr statt-
haft ist: da wo der Anspruch selbstständiger Kunstübung er-
hoben wird.

Der geistige Gehalt jedes originalen Kunstwerkes setzt
sich zusammen einestheils aus dem, was der Künstler der

Natur, der Wirklichkeit entlehnt, und anderntheils aus dem,
was er aus eigener oder fremder Phantasie hinzugefügt hat.
Und nicht blos aus dem Ueberwiegen des einen oder des
anderen dieser beiden Faktoren, nicht blos aus der Ver-
schiedenheit der Talente und individuellen Neigungen erklärt
sich die unendliche vielartigkeit der Kunstwerke, wir beob-
achten auch, daß die Künstler ganzer Perioden und Epochen
von gewissen Phantasien und Idealen beherrscht waren, und
ebenso begegnen wir von Zeit zu Zeit allgemeinen Ver-
änderungen in der Naturanschauung und Wiedergabe. In-
sofern sprechen wir von dem „Stil" einer ganzen Zeit und
wenn wir Kunstwerke vergangener Zeiten frei reproduziren
oder zu Vorbildern nehmen wollen, so müssen wir uns nicht
allein in die Phantasie, in die Symbolik und den idealen
Formalismus ihrer Urheber, sondern auch in deren Natur-
auffassung zurückempfinden — wir müssen auch die Wirk-
lichkeit mit ihren Augen zu sehen und mit ihrer Manier
wiederzugeben vermögen. Die letztere Voraussetzung halte
ich für die ausschlaggebende, weil es verhältnißmäßig viel
leichter ist, sich in fremde Ideale und Phantasien hineinzu-
denken, fremde Prinzipien zu begreifen und zu adoptiren,
als die Natur durch fremde Augen zu sehen und gewisser-
maßen mit fremden Händen nachzubilden. Der Unterschied
zwischen dein einen und dem anderen Intuitionsvermögen
ist im Grunde der- Unterschied zwischen verstehen und Können.

wie ungereiint anscheinend — und doch wie natürlich!
Wir bewundern ein romanisches Säulenkapitäl oder eine
gothische Grablegung, wir erkemjen darin Werke hervor-
ragender Künstler, welche vielleicht den Rafael und Michel-
angelo aii Begabung nicht nachstehen koniiten; wir machen
uns, um dieser werke recht froh zu werden, von allen
inodernen vorurtheilen los und versetzen uns mit inniger
Hingebung ganz in den Geist, in die religiösen Vorstellungen
und in die Kunstweise der ehrwürdigen alten Meister. Das
Alles gelingt uns auf dem Wege der Reflexion mit einer
guten Dosis dessen, was inan „Herz" nennt. Sobald aber
der moderne Künstler, bei allem verständniß für den Kunst-
werth jener werke, Aehnliches zu schaffen versucht, steht er
rathlos da: sein Werk wird zur herzlosen, unwahren Karikatur,
es gelingt ihm nicht, sich in derselben Kunstsprache überzeugend
auszudrücken, die doch aus den alten werken so deutlich zu
ihin redete, warum? weil er nicht in Wirklichkeit die kind-
liche Unschuld, die Naivetät und Eigenart der Naturauf-
fassung besitzt, welche eben den „Stil" jener Werke ausmacht.

So ist es denn eine unumstößliche Wahrheit nicht blos
im gesellschaftlichen Verkehr, sondern auch iu der bildenden
Kunst, daß man das Naive wohl schätzen, aber nicht imitiren
darf, wenn es nicht innerlich wahr und der ungezwungene
Ausdruck eigenen Empfindens und Könnens ist. Jeder tüchige,
zielbcwußte Maler oder Bildhauer hütet sich daher wohl,
eine ihm vielleicht sehr sympathische, aber doch nicht geläufige
Vortragsweise zu affektiren. Mit anderen Worten: Als direkte
Vorbilder für unsere Kunst dürfen wir nur solche ältere Werke
benutzen, welche in Bezug auf Naturauffassung und Vortrags-
weise unsere eigene Sprache oder doch ein derselben verwandtes
 
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