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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1883

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Pecht, Fr.: Das deutsche Kunstgewerbe und die Ausstellungen, [2]: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein am 5. Dez. 1882
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https://doi.org/10.11588/diglit.7027#0049

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Konnte man Gleiches von dem der Industrie weniger be-
haupten, so glänzte dort um so mehr das Talent der ein-
zelnen Aussteller in der Anordnung und Hervorhebung
ihrer Produkte. ksier hat die Nürnberger Ausstellung so-
gar mehr geleistet als irgend eine andere, hat ganz Neues
geboten. Vor allem dadurch, daß sie das Element eines
bald feinen bald derben, immer aber gesunden Humors zu
einer so hervorragenden Geltung brachte, wie nie eine zuvor,
auch die unsere von s876 nicht, noch viel weniger aber die
Weltausstellungen. — Sie erhielt dadurch einen acht volks-
thümlichen Charakter, der einen über vieles Andere hin-
wegsehen ließ. Als nahezu klassisches Muster dieser humo-
ristischen Art ist z. B. der Ausstellungskasten einer Blei-
stiftfabrik von Prof. Schwabe, köstlich witzig und lebendig
und zugleich mit stylvoller Großartigkeit modellirt zu be-
zeichnen, wo durch ganz prächtig erfundene Figuren die
Verwendung der Bleistifte dargestellt war. Aber nicht
weniger überraschend, ja noch naturwüchsiger äußerte sich
dieses Talent pikant auszustellen selbst in der Abtheilung
der Nahrungs- und Genußmittel, wo der derbe Witz der
Aussteller aus Lebkuchen oder Tabaksblättern, ja selbst aus
Feigen- oder Tichorienkaffee Bauten errichtete, deren Be-
trachtung dem Zwerchfell viel zuträglicher war, als der
Genuß der Fabrikate selber. Niit Ausnahme natürlich der
gelungensten von allen, welche die Verwendung des National-
getränks begleiteten. — Man hat eben in Süddeutschland
besser als irgendwo in der Welt begriffen, daß eine solche
Ausstellung allemal eine Art von Volksfest werden, perz
und Nieren auch durch allerhand lustigen Unsinn nicht
weniger erfrischen, als den rechnenden verstand beschäftigen
muß. Nur daun kann sie ihren Zweck erreichen, das ganze
Volk in das Interesse der produzirenden Klassen hineinzu-
ziehen, ihm die Wonne des Schaffens wieder zu zeigen,
nicht nur die Last desselben, ihm die Meister der künstler-
ischen und gewerblichen Arbeit wieder werth und vertraut
zu machen, wie es die Peter Vischer und Dürer, die Iam-
nizer und Burgkmair ihren Mitbürgern gewesen sind!

Die Nürnberger Ausstellung zeigte aber auch einen
uuläugbar bedeutenden Fortschritt in der allmäligen Aus-
dehnung der Kunst auf alle Gewerbe und ihre Veredlung
dadurch. Nicht minder in ihrer schrittweisen Ausbreitung
in alle kleinen Städte, ja aufs Land sogar. Daß ein
Tischler in Bayreuth das beste Zimmer, eine besonders in
Bezug auf koloristische Wirkung sehr bedeutende Leistung,
brachte, daß aus Nürnberg selber wie aus Augsburg, Fürths
Würzburg und noch kleineren Vrten wie z. B. Landshut
hochachtungswerthe Produktionen kamen, das kann uns im
Interesse des bayerischen Vaterlandes nur hoch erfreuen.
Auch in dem der Kunstindustrie selber, die an Gesundheit
dadurch ganz außerordentlich gewinnt, wenn sie das mög-
lichst breite Fundament in der ganzen Nation erhält, nicht
auf einzelne Orte, auf die Residenz etwa beschränkt bleibt.
Daß diese letztere trotz der für sie so erschwerenden Umstände
doch fast überall an der Spitze stund, daß wie die Kunst
zu neun Zehnteln ihr gehörte, wie ihre Schulen weitaus
das Beste brachten, ihre Abtheilung auch in der Industrie
den glänzenden Mittelpunkt des Ganzen bildete, darüber
konnte kaum eine Meinungsverschiedenheit herrschen. Sie
verdankte dieß allerdings in der Industrie vor allem ihren
herrlichen Edelmetallarbeiten, die wohl jetzt nirgends in der

Welt besser gemacht werden, während wir im Fach der
Majoliken und des Porzellans hinter anderen, so speziell
hinter den trefflichen Leistungen Nürnbergs, .zurückblieben.
Auch in der so bedeutenden Spielwaaren- und Draht-In-
dustrie, in der Nürnberg glänzende Leistungen brachte.
In der Holzschnitzerei und speziell der Kirchenarbeit lief uns
Augsburg den Rang ab, aber freilich nur mit Zuhülfe-
nahme von Münchener Kräften, deren Betheiligung über-
haupt bei fast allen besseren Leistungen der Provinz nach-
gewiesen werden konnte.

Die schwächste Seite der Ausstellung war die Textil-
Industrie, wenn auch mit sehr ehrenwerthen Ausnahmen.
Auch daß wir in Bayern noch keine besseren Tapeten und
Teppiche machen, während eine Reihe der anerkannt besten
Dessinateurs in diesen Branchen hier auf der Kunstgewerbe-
schule ihre Bildung erhielten, das ist allerdings eine schwere
Lücke, die uns immer wieder daran erinnert, wie der ge-
werbliche und kaufmännische Unternehmungsgeist hier hinter
dem künstlerischen Leistungsvermögen noch weit zurückbleibe.

Ich komme nun auf noch einen hochwichtigen Indu-
striezweig, der durch die Ausstellungen vielleicht mehr För-
derung empfangen hat, als irgend ein anderer. Speziell
durch die in Nürnberg und die letzte elektrische hier: näm-
lich die Kneipindustrie. Kein Zweifel, daß ihre anscheinend
etwas zweideutigen Erfolge, die weitaus größten waren,
welche diese beiden davon trugen. Ich selber bekenne mich
schuldig, diese Seite der Ausstellungen anfänglich mit sehr
geringen: Wohlwollen betrachtet zu haben. Ganz anders
wird man gestimmt werden, sobald man den Ursachen
dieses selbst im kneiplustigen Deutschland ganz unerhörten
Erfolges genauer auf den Grund geht. Denn da wird
man alsbald finden, daß man ihn durchaus und ganz
allein der Veredlung des Kneipvergnügeus durch die
Kunst verdankt. Das ist aber schon ein sehr erfreulicher,
hochbedeutsamer Sieg. Niemand wird behaupten können,
daß man auf dem Nürnberger Ausstellungsplatz oder
in unserm Glaspalast etwa besser getrunken oder gar
gegessen habe, als man dies anderwärts im Stande war.
Im Gegentheil trank man nicht besser aber theurer und
aß viel schlechter, wie dieß ja der ungeheure Menschenan-
drang unvermeidlich macht. Was also die Menschenmenge
anzog, war einzig und allein, daß ihr diese grob materiellen
Genüsse in einer unendlich geadelten, ja oft entzückend schönen
Form geboten wurden. Daß eine mit dem größten Raffi-
nement aller Mittel der Architektur, Malerei, Beleuchtung,
Musik hervorgebrachte, feenhaft berauschende Umgebung
diese Menge zuletzt das Essen und Trinken ganz vergessen
oder doch über seine Mangelhaftigkeit gerne wegsehen ließ.
Ist das aber nicht der größte Triumph, den die Kunst
davon tragen konnte?

Nun handelt es sich vor allem darum, diesen Sieg
zu verfolgen und nach allen Seiten auszunützen für die
Kunstindustrie, deren Beruf es ja gerade ist, das sinnliche
Bedürfniß durch die verfeinerten Formen, in denen sie es
befriedigt, zu veredeln. Wenn irgendwo, so haben wir ge-
rade hier nicht nur die glänzendsten Erfolge bereits zu ver-
zeichnen, sondern auch noch gewaltigere zu erhoffen. —
Wer wüßte es nicht, daß es dem Münchener wie dem
Deutschen überhaupt früher nirgends so wohl war als im
denkbar schlechtesten, niedrigsten und engsten, alle Sinne
 
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