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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1883

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Haushofer, Max: Die Arbeit im Lichte der Volkspoesie, [1]
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fjieju kömmt noch der Großbetrieb. In einer ein-
zelnen Fabrik arbeiten Hunderte von Menschen nach derselben
Schablone, in demselben Geleise, unter dernselben Tommando;
jeder genau dasselbe. Daß damit zahllose geistige Bezieh-
ungen zwischen diesen Menschen, zahllose Anregungen ab-
geschnitten sind, braucht wohl kaum bewiesen zu werden.
Weder der Entwicklungsgang seines Arbeitsproduktes, noch
die künftigen Schicksale desselben interessiren den Arbeiter
mehr. All' seine Gedanken, seine ganze Aufmerksamkeit
sind ununterbrochen an einen gleichmäßigen, eintönigen
Mechanismus gefesselt, und statt der mannigfachen Natur-
laute und wechselnden Bilder, die den minder civilisirten
Menschen anregen und wecken, hört er nichts, als Tag
für Tag dasselbe Schwirren und Sausen, Rasseln und
Dröhnen der Transmissionen und Spindeln, Walzen und
Räder.

So wirken alle volkswirthschaftlichen und technischen
Fortschritte zusammen, um der Arbeit jene Eigenart und
Ursprünglichkeit zu nehmen, die sie nur dort hat, wo jeder
Einzelne die Arbeitsweise und die Arbeitsziele selbst bestimmt
und nach Belieben ändert. Und mit dieser Eigenart ver-
liert die Arbeit mehr und mehr ihren Reiz, und der Arbeiter
verliert an geistigem Leben, während seine Leistung stets
zunimmt. Es sind fast keine Elemente da, welche neue
Poesie in das Arbeitsleben der Menschheit bringen; aber
sehr viele, welche geeignet sind, den vorhandenen Schatz an
poetischer Weltanschauung zu beseitigen. Ganz wird er
niemals beseitigt werden; dafür ist er doch zu werthvoll.

Der Mensch bedarf der Poesie —- möge sie ihin nun
in dieser oder jener Form gereicht werden.

Wenn wir nun Zusehen wollen, wie sich die Volksseele
mit ihreni Bedürfniß nach poetischer Weltanschauung, und
zugleich mit der praktischen Nothwendigkeit der Arbeit zurecht
gefunden hat, so ist es wohl angezeigt, zuerst zu betrachten,
wie die Sprache, die ja der Ausdruck des Geistes ist, den
Begriff der Arbeit anwendet und mit Anderem in Ver-
bindung bringt.

Es würde ins Endlose führen, wollte rnan alle die
zahllosen inehr oder weniger poetischen und prosaischen
Wendungen vorführen, in welchen die deutsche Sprache
das Wort Arbeit und Arbeiten gebraucht. Manche dieser
Wendungen sind indessen recht bezeichnend für unseren
Gegenstand.

Wer angestrengt arbeitet, von dem sagt die deutsche
Sprache: er arbeitet wie ein Pferd, wie ein Vieh, wie der
Teufel. Man überträgt das Arbeiten auf die Thätigkeit
lebloser Gegenstände und Thiere und läßt den Strom an
der Zerstörung seiner Ufer, den Vulkan an seiner Eruption,
das Meer an der Zerreißung seiner Dämme arbeiten. Der
Seemann sagt von seinem Schiff, daß es durch die Fluth
arbeitet; der Jäger von seinem Hund, der Reiter von
seinem Pferde, Aual und Pein wird mit dem Ausdruck
Arbeit bezeichnet. Man sagt: ich habe mich durch einen
sechsbändigen Roman oder durch ein Nervenffeber durch-
gearbeitet. Achnlich die Ausdrücke: sich zu Tod arbeiten,
zu Schanden arbeiten, stumpf arbeiten, sich die Finger ab-
arbeiten und Aehnliches.

Einen besonderen Reichthum entwickelt die deutsche
Sprache in mancherlei Provinzialismen, mit welchen man
gewisse Nuancen von Arbeitsthätigkeit bezeichnet, die aber

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großentheils zum Gerneingut der Nation geworden sind.
So die Ausdrücke fretten für ein recht erbärmliches, müh-
sames, bettelhaftes Arbeiten; pfuschen für die Arbeit des-
jenigen, der sie nicht gelernt hat und nicht kann; pusseln
für kleine Dilettantenarbeit auf dem Gebiete des Hand-
werks; schanzen und scharwerken für harte, ange-
strengte Arbeit; ferner: schleudern, sudeln, werken,
hudeln u. s. f.

Schöner sind folgende Wendungen: Ein von Schick-
salen durchgearbeiteter Mensch; ein Gedanke, der sich durch
verjährte Vorurtheile hindurch gearbeitet hat. Lessing
spricht von der lebendigen Quelle in ihin, die sich durch
eigene "Kraft emporarbeitet; Gutzkow von dem „stillen Weh
des Gemüthes, das in Opfern lautlos fortarbeitet"; Tinck
von einem „Hineinarbeiten in die Geister"; Göthe von
einem „sich gleichsam über das Mögliche hinüberarbeiten".

Gehen wir einen Schritt weiter.

Wenn wir in den mehr oder weniger poetisch gehal-
tenen Religionsbüchern alter Kulturvölker, so namentlich in
der Bibel, im Zendavesta der Perser wie in den Veden der
alten Inder, das Lob der Arbeit und des Fleißes verkündet
finden, so dürfen wir das freilich nicht als reine Volkspoesie
ansehen. Es sind das vielmehr Aeußerungen einer einfachen,
weisen, patriarchalischen Politik, welche die Phantasie des
wundergläubigen Volkes benützte, um auf seine Moral ein-
zuwirken. Die geistigen Führer der Völker haben es in
den frühesten Zeiten verstanden, die einfachsten und noth-
wendigsten Satzungen des Rechts und der Moral in ein
gewisses poetisches Gewand zu kleiden. Wenn nun auch
die Resultate dieser Thätigkeit nicht als Volkspoesie zu be-
zeichnen sind, so hatten sie jedenfalls die innigste Fühlung
mit dem Geiste und der Phantasie des Volkes.

Mit der Religion steht der Mythus in Beziehung.
Aber der Mythus ist Sage, er ist durchaus Volkspoesie.
Mit den Dingen des praktischen Lebens hat er nichts zu
schaffen. Dafür ist er viel zu früh entstanden, zu einer
Zeit, als der Mann sich mit nichts anderem beschäftigte,
als mit Jagd und Krieg. Aber dennoch ehren die Göttinnen
des alten Heidenthums schon die Spindel und den Webstuhl.
Das sind die ersten Anfänge des Auftretens der Arbeit in
der Sage.

Auch die spätere Volks sage, die ihr Wesen darin
hat, daß — ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Unwahrheit —
etwas Geschehenes erzählt wird, hat begreiflicherweise nur
wenig Gelegenheit, sich mit der Arbeit zu beschäftigen. Der
bedeutendste Theil unseres ganzen Sagenschatzes ist in einer
Zeit entstanden, in welcher das volkswirthschaftliche Leben
noch in den ersten Anfängen sich befand. Da die Sage sich
stets bemüht, an wirkliche Vorgänge, an historische Personen
oder an bestiinmte Gertlichkeiten etwas Ungeheuerliches hin-
zuzudichten, so hat sie entweder einzelnen Personen ungeheure
Arbeitsleistungen angedichtet, wie seinerzeit die hellenische
Volkssage mit den zwölf Arbeiten des Herakles, oder sie läßt
einzelne sehr bedeutende Arbeitsleistungen durch dänionifche
Kräfte vollbringen. Ich erinnere nur daran, wie durch ganz
Deutschland die Sagen von gigantischen Bauwerken verbreitet
sind, deren Urheberschaft entweder den: Teufel oder den Riesen
zugeschrieben wird: Teufelsmauern, Teufelsgräben, Teufels-
brücken, Riesenburgen, Riesensteine und dergleichen. Wo sich
solche Sagen an bestiinmte Naturgestaltungen knüpfen,

Zeitschrift des Aunstgewerbe-vereins München

*883. Heft 9 L *0 (Bq. 2).
 
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