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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1883

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Paul, Richard: Rom: Vortrag am 4. Dez. 1883
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https://doi.org/10.11588/diglit.7027#0101

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aus größere Hälfte der Erde, die ihin in unverweigerlichem
Gehorsanr unterworfen ist, weil sie in ihm den sichtbaren
Vermittler des Irdischen mit dem Himmlischen, des Mensch-
lichen mit dem Göttlichen verehrt. Wenn dieser Mann
sich die dreifache Krone auf's Haupt setzt und vom Stuhl
des Apostelfürsten den Legen ertheilt, so spricht er heute
dasselbe Wort, das die graue Vorzeit in dem Sinne, wie
in dieser Stunde noch, verstanden. Gr gedenkt nämlich zu-
erst der „Stadt" und dann erst des Erdkreises.

Diese „Stadt", die von den vergänglichen Geschlechtern
der Sterblichen einzig und allein als die „ewige" bezeichnet
wird, in dem kurzen Zeitraum einer flüchtgen Stunde zu
durchwandern, möchte ich Sie einladcn. Nicht kann cs sich
hier um den thörichten Versuch handeln, des unermeßlichen
Stoffes Herr werden zu wollen. Von welcher Seite man
auch ihn betrachten mag, er bietet überall Unerschöpfliches,
dem gegenüber das Wissen und Rönnen des Einzelnen ein
verschwindender Bruchtheil bleibt. Steht der Geschichts-
schreiber vor der unabsehbaren Reihe von Thatsachen, die
von hier aus dis Welt bewegt und erschüttert, das Leben
der Völker bestimmt haben, und von denen die allermeisten
ihm ein stetes Problem bleiben werden, dessen endgültige
Enträthselung die Zeit immer mehr zur Unmöglichkeit macht,
so sieht hier der Philosoph mit ruhiger Rlarheit in dem
scheinbar niemals zu entwirrenden Rnäuel dieser Ereignisse,
in allem Wechsel nur das Eine: den Willen nämlich, der
die Welt als seine Vorstellung hier zur gewaltigsten Er-
scheinung werden ließ. Findet der Bewunderer monarchi-
scher Staatsverfassungen hier aus Schritt und Tritt die
Spuren der über das Irdische erhobenen Cäsaren, vor denen
in Zittern und Furcht der Erdkreis in den Fesseln der Skla-
verei gebunden lag, so begeistert den Jünger der Freiheit hier
das Andenken an Brutus und Cola Rienzi und nährt an
ihm seine Hoffnungen auf das Wiederaufleben einer alle
Völker vereinigenden Republik. Ist dem Atheisten das
Pantheon der verkörperte Beweis für das Vergehen aller
Götter, die schließlich alle von der Zeit vernichtet werden
müssen, so sieht hier der Christ aus der Gruft der Kata-
koinben seinen Glauben siegreich aus der Verfolgung her-
vorgehen und liest in den goldenen Lettern am Simse der
Peterskuppel die Bürgschaft der Unvergänglichkeit seiner
Rirche in dem Worte seines Heilands: „Du bist Petrus".
So viele Eroberer aus diesen Thoren gezogen, um sich die
ganze bekannte Welt dienstbar und tributpflichtig zu machen,
so oft hat auch die Rönigin des Erdkreises von ihrem
Throne herabsteigen müssen, um den durch dieselben Pforten
hereinziehenden Triumphzug der Barbaren als Sclavin
schmücken zu müssen. Hat sie den Reichthum der Nationen
verschlungen und ganze Erdtheile für ihre Mrgicn ausge-
raubt, so hat sie diese Schuld den Geschädigten mit tausend-
fachen Zinsen zurückgezahlt. Wie eine Vestalin hat sie die
heilige Flanime der Kultur behütet und genährt; sie hat
die Sendboten und Träger dieses Lichtes hinausgesandt in
die finstren Urwälder Europas, unsere nordischen Sturm-
nächte erleuchtet und erwärmt und aus den Wilden Menschen
gemacht. Schon in die frühesten Erinnerungen unserer
Jugend verwebt sich die Sage von der Größe und Herr-
lichkeit Roms; mit staunender Bewunderung horcht der
Jüngling auf die volltönenden Laute der gewuchtigen Sprache
Latiums, die ihm von dieser Stadt erzählt, welche die Welt

und die Kunst unter ihr eisernes Joch gebeugt; in ihr em-
pfängt er die Grundlage seiner Bildung und den Schatz der
Weisheit für den Ernst des Lebens; sie führt ihn zum
Verständniß des Schönen durch die großen Dichter des
klassischen Alterthums. An den Denkmalen einer dreitausend-
jährigen Vergangenheit schult sich der Künstler zum eigenen
Schaffen; ihnen einst gegenüberstehen zu dürfen, ist das
Ziel seiner Hoffnungen, die erst dann ganz erfüllt sind,
wenn über der Wüste der Campagna sein entzücktes Auge
die Kuppel des Michel Angelo austauchen sieht. Als Pilger
kommen sie alle über Meere und Alpen in unabsehbaren:
Auge herübergeströmt, von Sehnsucht getrieben, das ver-
ehrungswürdige Antlitz ihrer gemeinsamen Mutter, der
Lehrerin der Weisheit, der Bewahrerin der Schönheit
schauen zu dürfen. Auch uns bewegt der Ruf ihrer Wunder
heute, wenn auch nur auf den Flügeln des Geistes, zu
dieser Wallfahrt, und so ziehen auch wir durch ihre Thore
mit dem alten Gruß, der schon von Millionen Lippen getönt:
Ave Roma!

Sind wir auch zunächst nicht hierher gekomnien, um
a» geweihten Stätten in Andacht uns zu versenken, oder
um den Erinnerungen der Geschichte forschend nachzugehen,
müssen wir auch sogar der Versuchung widerstehen, hier
über die geheinrnißvollen Räthsel des Daseins in tiefsinnigen
Betrachtungen nachzugrübeln und der flüchtigen Vergänglich-
keit alles Irdischen nachzusinnen — wozu Allem es hier an
den dringendsten Aufforderungen nicht fehlt —- so wollen wir
uns doch an: allerwenigsten durch sogenanntes wissenschaft-
lich-archäologisches Gepäck beschwert fühlen und ohne jede
derartige Belästigung hier herumwandeln, einzig nur
unserer Neigung folgend. Nicht soll es uns anfechten, ob
diese Trümmer, die heut mit unfehlbarer Sicherheit als
Friedenstempel festgestellt sind, morgen sich durch eine noch
gründlichere Conjektur in das Ministerium des Krieges
umwandeln; eine Statue wird uns deßhalb nicht weniger
schön dünken, stelle sie einen Hermes oder einen Antinous
dar. Nicht werden wir de» Zeus von Verospi für ein
Produkt sinkender Kunst ansehen, wohl aber Zeiten, in
denen das Neberwuchern der Kunstgelehrsanrkeit die künst-
lerische Schaffenskraft maßregelt und zu ersticken droht,
für dem Verfalle zuschreitende erklären müssen. Weit eher
wären wir von der Glaubwürdigkeit der Inschrift auf dem
piedestal der Rossebändiger des (Huirinals zu überzeugen,
welche die Giganten als Werke des phidias und Praxiteles
bezeichnet, als sie uns die gewichtigste Autorität der Kunst-
wissenschaft als Schöpfungen von Kugler und Woltmann
einredete. Mit Einem Wort: wir wollen die, wenn
auch nicht immer und allwege heilige, so doch stets
höchst ehrwürdige Stadt mit dem Blicke des Künstlers, mit
der Freude am Schönen betrachten. Erbauen wollen wir
uns an den herrlichen Thaten unseres Geschlechtes, das
hier unsterbliche Gedanken in Stein, Erz und Farbe den
Nachkonrmen hinterlassen, so daß uns schließlich anbetrachts
unseres in Journalen und neuphilosophischen Abhandlungen
so hochgepriesenen Fortschrittes doch einige Bedenken auf-
stoßen. Was z. B. an neuem bildnerischen Hervorbringen
dieses Jahrhundert speziell in Rom geleistet hat, ver-
steckt sich durch die Armseligkeit seiner Erscheinung gegen-
über dem aller früheren Zeitalter in verdientes Dunkel,
und die Verwüstungen, welche unter den alten Basiliken in
 
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