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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0239

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Kunstgewerbe.

Im Lichthof unseres Kunstgewerbemuseums
konnte man, dankbarer als in den grauen Morgen-
stunden, zur Abendzeit unter den ornamentalen
Phantasien und den Schmuckträumen vergangener
Zeiten sich ergehen.

Das neutrale Licht, das von unsichtbaren Bogen-
lampen jenseits des gläsernen Dachhimmels den
Raum hell und doch gedämpft erfüllt, gab ge-
sammelte Stimmung. Und zum Sonderreiz solch
dekorativen Spätwandels erwachten die beiden
mächtigen Tempelleuchter, die an den Stufen des
Hofes sonst düster und stumm Wache hielten;
der verkleidete Bronzedurchbruch ihrer Rund-
laternen ward, vielleicht zum erstenmal seit ihrer
"Verpflanzung, wieder lichtbelebt.

Und in diesem Tempellicht standen Zierwerk
und Hausrat aus westlichem und östlichem Ge-
lände. Die meisten Provinzen des Museums
haben zu dieser Schau ihren Tribut geleistet.
Italienische und spanische Messgewänder aus
Samt und Brokat mit Aufnäharbeit und Gold-
Silberstickerei, gewölbte italienische Truhen, die
Sarkophagen glichen und die Hochzeitsgaben
bargen, Zinn- und Silbergerät von Jamnitzer, die
kurieusen Nautilus- und Traubenpokale und der
laufende Fontänenelefant als Tafelaufsatz.

Urbino- und Gubbiomajolika, im saftigen Gelb
und im spiegelnden Metalllüster, Legenden er-
zählend, mythologisch drapiert und heraldisch be-
schildert, auch. als Porträtstück wie jene Braut-
schüssel: Lucrezia la Bella. Neben solch pomp-
haften Haupt- und Staatsaktionen der Keramik
stand die uns befreundetere Einfachheit der Apo-
thekergefässe, die weniger auf Darstellung als auf
den koloristischen Akkord komponiert sind. Die
verblüffendsten, die an die delikate Primitivität
japanischer und Bigotischer irdner Farbenspiele
erinnerten, zeigte Bode vor einigen Jahren in der
Renaissanceausstellung. Hier gefielen mir zwei
solcher Poterien, die eine gelb mit grünem
Pfauenfederdekor, die andere mit breitem blass-
grünen Blättergewinde auf blauem Grunde.

Solch südlicher Töpferei gegenüber, die immer
deutlich die Marke des Dekorativen trägt und auch
beim Zweckgerät, wie dem Apothekergefäss, vor
allem an die Wirkung des Reiheaufstellens, der
Paneelserie, denkt — das trunkfeste robuste deut-
sche Steinzeug, bauchig, inhaltsgewaltig, breitsess-
haft, und, damit der Trunk gedeihe, mit einem
erbaulichen Spruch oder einem ehrbaren Bibelbild
geziert: nürnberger Hirschvogelkannen, korpu-
lente kurzhalsige kölner Steinkrüge, graue wie
ein Turm mit Reliefwandung spitzansteigende
Pinten.

Und noch charakteristischer sprach sich der
Kulturunterschied des Südens und | Nordens in
der Glaswelt aus. Hier die feingliedrigen Gläser

von Murano, von vollendeter Diskretion, nur
durch das Wachstum der schlanken Stengel und
die rein erblühende Wölbung des Kelches wirkend,
sparsam geschmückt mit luftigen organisch ent-
wickelten Flügeln oder mit dem Filigrangespinst
zarter weisser Fäden, die wie Spitzennetze zwischen
den Glasschichten lagern oder mit dem kaleidosko-
pischen Spiel Millefiori. Die edelen Ahnen sind
es der plumpen und grellen Glasbäckereien des
modernen Venedigs, die vor einigen Jahren noch
teuer bezahlt wurden, heut aber glücklich — auch
ein Erfolg der langsamen Geschmacksreinigung —
abgewirtschaftet haben. Und dort das deutsche
Glasgeschirr des sechzehnten und siebzehnten
Jahrhunderts, das wenig Glasform zeigt, sondern
einfach den Humpenmassstab voll Fülle und In-
halt vom Steinzeug und Zinn übernimmt. Mäch-
tige zylindrische Gefässe, wuchtige vierkantige
Flaschen aus trübem, grünlichen Material, dem
sogenannten Waldglas, in Emailfarben gelb,
weiss und gold bemalt mit Wappen, Emblemen
und Innungszeichen. Dazu auch ungefüges Spiel-
werk: jeneBecher, die auf einenZug ausgetrunken
werden mussten, in Form einer Frauengestalt mit
weitem Glockenrock, eine Glasvariante des silber-
nen patrizischen Brautbechers; Tiere aus Glas, als
Flaschen, und das berühmte Umtrunkgefäss („Ihr
Mannen, macht das Armbein krumm"): der balla-
deske Stiefel.

Unter den Möbeln interessierte der barocke Fran-
ziskanerstuhl, der, abgesehen von Armlehne und
Fusssockel, völlig stoffumkleidet gleichsam im
Prunkornat seines Ordenskleides feierlich ragte.
Und Armlehne und Fusssockel begnügten sich
nicht mit den Funktionen, sondern sie dienten
der Verkündigung in majorem dei gloriam. Hei-
lige und Madonnen trugen die Lehnen, Teufel
kämpften am Unterteil mit den Engeln, und der
Sitzende konnte auf die (zu diesem Zweck?) vor-
springenden Häupter der höllischen Widersacher
seinen Fuss stellen, gemäss dem Bibelwort: Du
wirst der Schlange den Kopf zertreten.

Wie fremd scheint solch Sitz „voll tieferer Be-
deutung" unseren modernen Vorstellungen von
einem Stuhl, und doch sind auch in unserer Zeit
Stühle gemacht worden, die sich nicht mit dem
Dienen begnügen, sondern sprechen wollten.
Freilich verkünden sie nichts weniger als theo-
logische Wissenschaft— die Carabinstühle mit ihren
Gliedern aus verschränkten Leibern und der
Lehne, die als ein nacktes Weib den Rücken des
Sitzenden umschlingt.

In seinen Beschlägen war ein spanischer Zier-
schrank bemerkenswert, sie bestanden aus feinem
goldfarbenen Filigranwerk, ein zierlicher Durch-
bruch, das von rotsamtnen Untergrund sich ab-
hob und wie eine Vergrösserung von Uhrspindel-
blättern wirkte.

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