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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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Mackowski, Hans: Hans Baluschek
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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0344

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Verkümmerten, an allerhand Misswuchs er-
scheint wie das Interesse des Krankenkassen-
arztes.Mit derGenugthuung des höherenKultur-
menschen konstatiert er an seinen Proletariern
die gleichen Leidenschaften, die in den ge-
bildeten Kreisen herrschen. Er sammelt in
dem geistreich betitelten „Berliner Bilderbuch

'MM

HANS BALUSCHEK, DER TELEGRAPH

zwischen O. u. W." allerhand Curiosa von
der Peripherie der Grossstadt, die in dem
Zeichen der polizeilichen Kontrolle stehen.
Und es kitzelt ihn diese Situationsbilder aus
dem Leben der am wenigsten staatserhaltenden
Parteien in den deutschen Reichsfarben
schwarz-weiss-rot auszuführen. In seinem
Sammeleifer kopiert er wortgetreu, ohne an
ihrer malerischen Unmöglichkeit im Bilde
Anstoss zu nehmen, die Inschriften und Plakate,
die Mietszettel mit dem Angebot von Schlaf-
stellen, die Afficlien an Neubauten, die
Warnungstafeln,die Preiskarten von Getränken,
die ihm in der Komik ihres Inhalts oder ihrer
Orthographie als ein notwendiges Charakte-
risirungsmittel seiner Menschen erscheinen.
Es hängt diesem Maler ein Zöpflein wissen-
schaftlicher Registrierlust hinten, er mag sich
wenden, wie er will.

Einer solchen Lust verdanken auch zwei
grössere Cyklen ihr Entstehen, von der Eisen-
bahn und von der Insel Sylt. Mit dem Auge
des modernen Menschen hat Baluschek die
zweckmässige Schönheit des grossartigen,
reizvoll verwirrten Getriebes auf der Eisen-
bahn erfasst. Er führt uns unter die mächtige,
vom Lichte der elektrischen Lampen mond-
helle Ausfahrtshalle, wo die Lokomotive, im

Dunst mit glühenden Stirnlichtern unheim-
lich aufragend, gespeist wird; er zeigt uns den
lang gekoppelten Lastzug auf schmalem Bahn-
damm an verschneiten Laubengärten schwer-
fällig die Kurve entlangratternd, den blanken
Schienenstrang mit geschlossener Barriere, das
Wärterhaus mit der Sonnenblumenstaude und
dem Gemüsegärtchen. Ausführlicher noch mit
derGenauigkeit eines evolutionistischen Natur-
forschers giebt Baluschek in dem Cyklus
„Sylt" die Entstehungsgeschichte vom öden,
windverwehten Eiland bis zum beginnenden
Modebad. Im Anfang war der Sand, den
der Wind zu kleinen Hügeln anhäufte. Dann
setzte der Kampf der Haide mit dem Sande
ein. Und das Haidekraut siegte über den
Sand. Das noch dürftige Gewächs nährt
einen kümmerlichen Viehstand: ein Dorf ent-
steht, das der Telegraph mit der Aussenwelt
verbindet. Nicht lange, so bietet sich ein

wüst

HANS BALUSCHEK, E1SENBAUNZUG

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