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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 1.1902-1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.3547#0454

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LONDON

Gegen Ende April ist die 12. Leihausstellung
in der Londoner Guildhall eröffnet worden. Die
Tendenz dieser Veranstaltungen ist volkstümlich
und lehrhaft. Im Mittelpunkte der Arbeit und
des Verkehrs soll vielen Erholung und Kunstge-
nuss geschaffen werden. Der Eintritt ist frei. Man
legt Wert auf die Zahl der Besucher. Die Aus-
stellung spanischer Bilder im Jahre 1901 ist von
3°S3S9 Personen besucht worden! Die Auswahl
der Bilder wird aber nicht eigentlich den Nei-
gungen der Massen angepasst. Der Kunstvvert
allein ist hier nicht weniger das Entscheidende als
in den mehr aristokratischen Leihausstellungen, die
regelmässig in der Akademie veranstaltet werden.
Örtlich und zeitlich hat man in den letzten Jahren
in der Guildhall feste Grenzen gezogen, innerhalb
deren eine Anzahl guter Bilder aus dem uner-
schöpflich reichen englischen Privatbesitz zusam-
mengesucht wurden. Diesmal galt es der hollän-
dischen Malerei. Die Ausstellung ist ziemlich klein,
kleiner als die früheren, da der grösste der vier
Oberlichträume besetzt ist durch eine Sammlung
moderner Bilder, die Mr. Charles Gassiot der Cor-
poration of London hinterlassen hat.

Zwei von den übrigen mittelgrossen Sälen sind
mit modernen holländischen Gemälden, einer mit
holländischen Bildern aus dem 17. Jahrhundert ge-
füllt.

Bei Betrachtung der alten Bilder stört einiger-
massen die System- und Programmlosigkeit der
Auswahl. Eine beträchtliche Zahl guter und einige
ausgezeichnete Stücke sind da, aber auch mehrere
Kopien, Nachahmungen und unter allzu hohen
Namen eingeführte Bilder. Beziehungen zu diesem
oder jenem Sammler, nicht aber eine Übersicht
über das Erreichbare und eine klare Vorstellung
von dem besonders Erwünschten haben dieses gar
zu zufällige Beieinander geschaffen.

Eine der schönsten Landschaften von Philips
Konink, aus den Besitz der Lady Wantage, ist als
„Rembrandt" ausgestellt. Die grosse Flachland-
schaftist mit einem übermässig gelben und trüben
Firniss bedeckt, wodurch die geographische Nüch-
ternheit zum Stimmungsvollen gewandelt ist. Ein
echter „Konink" und noch dazu ein so bedeuten-
der ist aber gewiss mehr als ein falscher „Rem-
brandt". Und deshalb sollte man das Bild waschen.
Es sind jedoch auch wirkliche Rembrandt-Bilder
ausgestellt, zumal das Knabenporträt, das Mr. R.
Kann aus Paris gesandt hat. Dieses Bild, dann ein
prächtiges, ziemlich unbekanntes Männerporträt
von Franz Hals im Besitz des Earl Spencer und das
schlafende Mädchen vomDelftschen Vermeer — aus
der Sammlung Kann — sind die hervorragendsten
Bilder der alten Meister auf dieser Ausstellung.
Die Gruppe moderner holländischer Gemälde

ist weit glücklicher zusammengestellt. Fast alle
Hauptmeister der in England hochgeschätzten
niederländischen Schule, die etwa zwischen 1850
und 1890 erfolgreich geschaffen haben, sind glän-
zendvertreten, nämlich Jozef Israels, überaus reich
mit Schöpfungen aus allen Abschnitten seines ge-
segneten Lebenswerkes, Bosboom nicht ebenso
glücklich, Matthys Maris, der so selten erscheint,
mit vielen köstlichen Figurenbildern und Land-
schaften, Willem und Jacob Maris, besonders der
zweite, kräftigere mit einigen seiner Hauptwerke
und der zartere Mauve. Mesdag tritt nicht stark
hervor, mit Recht, da seine Kunst in der Haupt-
sache geschickte und geschmackvolle Nachahmung
ist. Von den Jüngeren ist wenigstens Breitner,
vielleicht der Beste, vertreten, wenn auch ziem-
lich unauffällig. — Diese modernen holländischen
Bilder stammen fast alle aus den Sammlungen
I. C. I. Drucker und I. S. Forbes.

Ihr frühes Verständnis für die Grösse der hol-
ländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, für Rem-
brandt, Hobbema und Cuyp haben die Engländer
sehr praktisch und sehr thatkräftig im 18. und 19.
Jahrhundert bewiesen, schon zur Zeit, als Lessing
den Deutschen am Laokoon die Gesetze der Kunst
zeigte. In mancher Hinsicht stand England zu
Holland, wie Rom zu Griechenland. Die Eng-
länder beerbten die Holländer in der Macht, im
Handel und auch in der Kunst; der neuen Kunst-
blüte auf holländischem Boden wenden sie ein ver-
ständnisvolles Interesse zu. Nicht einmal die
moderne französische Kunst ist in England so be-
kannt und geschätzt wie die holländische, von der
deutschen zu schweigen.

In der French Gallery hat man in dieser Season
eine Menzel-Ausstellung veranstaltet mit einer
Gruppe von Zeichnungen, die auch in Berlin zu
sehen waren. Der Erfolg scheint nicht gross zu
sein. Menzel bleibt den Engländern eine Kurio-
sität, eine erstaunliche Kraft von schrullenhaftem,
selbst barbarischem Geschmack.

M. J. Friedländer.

PARIS

Die beiden Salons sind keine Ereignisse mehr.
Sie sind lediglich grosse Bildermärkte, besten
Falles grosse Bilderschaustellungen, die
regelmässig alle Jahre wiederkehren. Sie haben
keine kämpferischen Prinzipien, keine Wagnisse
und Verstösse mehr, sie haben keine Zeichen,
keine Unzulänglichkeiten, die, wenn sie nicht
herausfordern, so doch interessieren könnten.
Und was unzulänglich in beiden ist, das tritt
wieder nicht unter eine gewisse Linie des All-
gemeinen, dass es mehr als gleichgültig lassen
könnte; oder es hat so deutlich den Stempel
des Launenhaften und Anders-sein-wollens ohne

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