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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 6
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Walser, Robert: Das Theater, ein Traum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0265

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K. WALSER, ENTWURF FÜR „FIGAROS HOCHZEIT"

ES.: B. CASSIKEK

etwas Scharfes, Festgezeichnetes. Raumhaft na-
türliche Perspektiven, einen realen Erdboden,
frische Luft giebt es da nicht. Man atmet Schlaf-
stubenluft, während man über Berge schreitet, wie
der Mann mit den Siebenmeilenstiefeln. Es ist alles
verkleinert, aber auch verschrecklicht im Traum;
ein Gesicht hat meistens einen erschütternd be-
stimmten Ausdruck: furchtbar süss, wenn es ein
süsses und wohlwollendes, furchtbar abstossend,
wenn es ein Furcht und Entsetzen einflössendes ist.
Im Traum haben wir die ideale dramatische Ver-
kürzung. Seine Stimmen sind von einer entzücken-
den Schmiegsamkeit, seine Sprache ist beredsam und
zugleich besonnen; seine Bilder haben den Zauber
des Hinreissenden und Unvergesslichen, weil sie
überwirklich, zugleich wahr und unnatürlich sind.
Die Farben dieser Bilder sind scharf und weich zu-
gleich, sie schneiden mit ihrer Schärfe ins Auge
wie geschliffene Messer in Äpfel und sind einen
Moment nachher schon wieder zerflossen, so dass
man oft, träumend sogar, bedauert, dieses und jenes,

so schnell verschwinden zu sehen. Unser Theater
gleicht einem Traum, und es hat alle Ursache, ihm
noch ähnlicher zu werden. In Deutschland will
alles umwoben und umschlossen sein, alles will ein
Dach haben. Die armen, pompösen Bildhauerwerke
in unseren Gärten sogar sind Träume; aber in der
Regel erfrorene. Es ist eine bekannte Thatsache, wie
schlecht uns öffentliche Monumente gelingen. Wir
sind talentlos in der luftumflossenen Freiheit. Wir
treten lieber in ein liebes, traumhaft seltsames Haus,
wo uns unsere wahre Luft und Natur entgegen-
kommen. Warum gelingen uns die Weihnachtsfeste
so schön, warum sind wir glücklich, in einer
warmen Stube zu sitzen und es draussen in der
Strasse schneien, winden, wettern oder regnen zu
sehen? Wir sind so gern in dunkeln, nachdenk-
lichen Löchern. Nicht diese Vorliebe ist eine
Schwäche; unsere Schwäche besteht vielmehr darin,
uns solcher Vorliebe zu schämen.

Sind nicht auch die Dichtungen Träume, und
ist denn die offene Bühne etwas anderes, als ihr

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