A. ROLLER, ENTWURF FÜR „ÖDIPUS UND DIE SPHINX"
alle sieben Sachen sehen lasse, ist Corinth nicht ge-
wachsen. Ein Fragonard wäre dazu nötig, ein Goya
oder Degas. Bei Corinth ist der pikante Stoff nicht rest-
los in Form aufgegangen; es bleibt ein sehr deutlicher
Erdenrest. Eine erstaunlich heruntergemalte Eindeutig-
keit von kühner Anlage. Das Bild „Beim Wein" er-
innert dagegen an den Geist, der in Goethes „Römischen
Elegien" herrscht. Auch vor Bildern wie „Mars und
Venus" oder „Das Harem" ist dieses Schwanken
zwischen dem Edlen und Gemeinen wahrzunehmen.
Man denkt an Ubergangsgeschöpfe mit Fittigen und
Reptilschwanz. Ein grosses Lebenswerk wird Corinth
nicht hinterlassen; aber manches schöne Bild von ihm
wird bleiben, der Kunst unserer Tage zum Ruhm.
Wir wollen es dabei bewenden lassen, ihn nehmen
wie er ist und mit heiterem Beifall nicht zurückhalten,
wenn er in seinem Lebenslied unbekümmert fort-
fährt:
„Wundert euch, ihr Freunde, nicht,
Wie ich mich geberde;
Wirklich ist es allerliebst
Auf der lieben Erde."
•SS-
Resultate eines erfreulichen Strebens zeigten in
derselben Ausstellung der Bildhauer Kolbe und der
Maler Paul Baum. Kolbe schwankt freilich noch zwischen
den Stilen, wie das bei einem gründlich suchenden
jungen Bildhauer in unseren Tagen kaum anders sein
kann. Auch seine Arbeit leidet darunter, dass Salon und
l
BES.: DEUTSCHES THEATER
Atelier heute zwei Welten sind, die nur gewaltsam, etwa
in der Art Rodins oder auch Corinths, vereinigt werden
können, wozu viel rücksichtslose Temperamentskraft ge-
hört. Kolbe sieht die Natur noch wie aus der Entfernung;
wie von der Stube aus, durch die Fensterscheiben. Aber
er sieht sie fein, lebendig und mit hingegebenem Eifer.
Er hat bedeutende natürliche Hilfsquellen in seinem
Talent und verdient entschiedenes Interesse in einer
Zeit, die Lederer als grossen Künstler proklamiert.
Paul Baum fährt fort, ein vorgebildetes System zu
benutzen, um zarte Landschaftsempfindungen aus-
zudrücken. Lehrreich ist es zu sehen, wie dieses System
ihm einerseits hilft, die Eindrücke zu stilisieren und wie
es andererseits auch der Unmittelbarkeit im Wege ist.
Baum ist eine jener soliden Begabungen, die nie etwas
verderben, aber nie auch durch das Ausserordentliche
überraschen. Wir haben uns seiner fein gepflegten
Handwerkstugenden durchaus zu freuen.
«•
Auch mit der modernen Romantik Monticellis, die
aus dem Wald von Fontainebleau stammt und zu
Watteau liebevoll zurückweist, hat der Salon Paul Cas-
sirer uns bekannt gemacht. Es waren neunzehn Bilder
dieses Träumers aus der traumabgewandten Zeit des
zweiten Kaiserreichs vereinigt; drei oder vier hätten
mehr gewirkt. Träume sagen nur einzeln etwas, nicht
in Massen. Meier-Graefe, der den Künstler sehr hoch
einschätzt, schrieb in seiner „Entwickelungsgeschichte"
unter anderm folgende Sätze: „Monticelli gehörte zu
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alle sieben Sachen sehen lasse, ist Corinth nicht ge-
wachsen. Ein Fragonard wäre dazu nötig, ein Goya
oder Degas. Bei Corinth ist der pikante Stoff nicht rest-
los in Form aufgegangen; es bleibt ein sehr deutlicher
Erdenrest. Eine erstaunlich heruntergemalte Eindeutig-
keit von kühner Anlage. Das Bild „Beim Wein" er-
innert dagegen an den Geist, der in Goethes „Römischen
Elegien" herrscht. Auch vor Bildern wie „Mars und
Venus" oder „Das Harem" ist dieses Schwanken
zwischen dem Edlen und Gemeinen wahrzunehmen.
Man denkt an Ubergangsgeschöpfe mit Fittigen und
Reptilschwanz. Ein grosses Lebenswerk wird Corinth
nicht hinterlassen; aber manches schöne Bild von ihm
wird bleiben, der Kunst unserer Tage zum Ruhm.
Wir wollen es dabei bewenden lassen, ihn nehmen
wie er ist und mit heiterem Beifall nicht zurückhalten,
wenn er in seinem Lebenslied unbekümmert fort-
fährt:
„Wundert euch, ihr Freunde, nicht,
Wie ich mich geberde;
Wirklich ist es allerliebst
Auf der lieben Erde."
•SS-
Resultate eines erfreulichen Strebens zeigten in
derselben Ausstellung der Bildhauer Kolbe und der
Maler Paul Baum. Kolbe schwankt freilich noch zwischen
den Stilen, wie das bei einem gründlich suchenden
jungen Bildhauer in unseren Tagen kaum anders sein
kann. Auch seine Arbeit leidet darunter, dass Salon und
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BES.: DEUTSCHES THEATER
Atelier heute zwei Welten sind, die nur gewaltsam, etwa
in der Art Rodins oder auch Corinths, vereinigt werden
können, wozu viel rücksichtslose Temperamentskraft ge-
hört. Kolbe sieht die Natur noch wie aus der Entfernung;
wie von der Stube aus, durch die Fensterscheiben. Aber
er sieht sie fein, lebendig und mit hingegebenem Eifer.
Er hat bedeutende natürliche Hilfsquellen in seinem
Talent und verdient entschiedenes Interesse in einer
Zeit, die Lederer als grossen Künstler proklamiert.
Paul Baum fährt fort, ein vorgebildetes System zu
benutzen, um zarte Landschaftsempfindungen aus-
zudrücken. Lehrreich ist es zu sehen, wie dieses System
ihm einerseits hilft, die Eindrücke zu stilisieren und wie
es andererseits auch der Unmittelbarkeit im Wege ist.
Baum ist eine jener soliden Begabungen, die nie etwas
verderben, aber nie auch durch das Ausserordentliche
überraschen. Wir haben uns seiner fein gepflegten
Handwerkstugenden durchaus zu freuen.
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Auch mit der modernen Romantik Monticellis, die
aus dem Wald von Fontainebleau stammt und zu
Watteau liebevoll zurückweist, hat der Salon Paul Cas-
sirer uns bekannt gemacht. Es waren neunzehn Bilder
dieses Träumers aus der traumabgewandten Zeit des
zweiten Kaiserreichs vereinigt; drei oder vier hätten
mehr gewirkt. Träume sagen nur einzeln etwas, nicht
in Massen. Meier-Graefe, der den Künstler sehr hoch
einschätzt, schrieb in seiner „Entwickelungsgeschichte"
unter anderm folgende Sätze: „Monticelli gehörte zu
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