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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 9
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0396

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haben. Das Interesse wurde zu Gedanken geführt, von
denen man nicht sagen kann, ob sie das Ethnographische
oder das Ästhetische meinen. Vor so alten Werken,
heilig durch die Atmosphäre von vielen Jahrhunderten,
spürt mans, dass Menschenwerk Naturwerk ist. Dem
Auge versinkt das Individuum und der ästhetische Spiel-
trieb der Gattung tritt hervor wie eine Naturgewalt.
Einzelnes auch nur anzudeuten, wäre hier unmöglich.
Nur eine Nuance sei erwähnt. In einem der Schränke
lag eine dreizinkige Gabel aus dunkeim Holz, zum Ver-
speisen von Menschenfleisch gemacht. Es wäre schwer,
in den heutigen Kulturländern ein Gebrauchsgerät von
dieser — offenbar auch praktischen — Formschönheit zu
finden. Die Schlussfolgerung? Humanität scheint nicht
eben ein notwendiges Ingredienz des ästhetisch bilden-
den Triebes zu sein.

Da das allgemeine Interesse für Museumsbauten
einmal erweckt ist und da der Fähigkeit Messels, schnell
zu bauen (die für den Entschluss des Kaisers allein mass-
gebend gewesen sein soll), noch Einiges zugemutet wer-
den kann, so sei erinnert, dass den Baukünstlern ein
Architekturmuseum längst notwendig erscheint. Nicht
an eine Sammlung irgend welcher Abgüsse oder patrio-
tisch gewählter Modelle darf man denken (hier erinnert
man sich schaudernd des hoffentlich unter den Tisch
gefallenen Plans eines Museums für Gipsabgüsse, dem
der Kaiser die ganze Siegesallee in Gips stiften wollte),
sondern an ein Museum, worin etwa eine schöne grie-
chische Säule in natürlicher Grösse gezeigt wird (es
könnte auch in einem Hof oder Garten geschehen) und
daneben in bequemer Augenhöhe noch einmal das Ka-
pital. Damit dem Architekten nämlich veranschaulicht
werde, wie Formen und Maasse in der Nähe beschaffen
sein müssen, wenn in bestimmter Höhe bestimmte Wir-
kungen erzielt werden sollen. Dass ein derartiger prak-
tischer Anschauungsunterricht nötig ist, wird nach einer
Betrachtung unserer akademischen Atelierstukkatur
Keiner mehr leugnen. Oder es müsste an summarisch
gearbeiteten Modellen klug gewählter Monumental-
bauten die Psychologie des Lichteinfalls erklärt werden;
oder es könnten Metamorphosen historischer Ornament-
formen gezeigt werden (aus dem Gesichtspunkte: „und
es ist das ewig Eine, das sich vielfach offenbart"); und
mit geistreich zusammengestellten Grundrissen könnte
eine Art von Menschheitsroman geschrieben werden.
Kurz, ein Museum, das zu wohlverstandener Modernität
anzuregen, aus trockenen Wissenschaftlern bildungs-
frohe Künstler zu erziehen vermöchte.

*

Walter Leistikow ist Professor geworden. Professor
ohne Lehrmöglichkeit. Fast möchte man den vortreff-
lichen Künstler, der mehr verdient hat, kondolieren.
Im Deutschland Wilhelms des Zweiten ist dieser Titel

so unsagbar entwertet worden, dass er fast als ein
Diplom für Unfähigkeit gelten darf. Die im letzten Jahr-
zehnt ernannten Kunstprofessoren bilden eine wunder-
lich gemischte Gesellschaft.

Als politischer Schachzug ist diese neueste Ernennung
nicht übel. Wer dürfte die Regierung nun noch un-
modern und rückständig nennen!

«■

Ein ergötzliches Beispiel, wie liberale Bürger sich als
reaktionäre Gegner eines auf einem Punkte wenigstens
radikalen preussischen Geheimrats gefallen, hat der
Kampf des „Fachverbandes für die wirtschaftlichen
Interessen des Kunstgewerbes" gegen den ihnen geschäft-
lich unbequemen, im Handelsministerium sehr nützlich
wirkenden Muthesius gebracht. Dieser von Seiten des
Fachverbandes mit den verwerflichsten Mitteln geführte
Kampf (Aufforderung an den Minister, Muthesius aus
seiner Stellung zu entfernen, Protest an die Leitung
der Handelshochschule, wo Muthesius Vorträge hält,
Versuch einer Verbündung mit Anton von Werner, um
den Kaiser zu gewinnen, Abkommandierung schmokisch
begabter Mitglieder nach jener Gegend der Presse, wo
diese am übelsten duftet u. s. w.) ist ein Symptom des
Interessenstreites zwischen Fabrikanten und Künstler,
der seit der letzten Dresdener Kunstgewerbeausstellung
Allen sichtbar geworden ist. Dieser Streit wird so bald
nicht beizulegen sein; die Künstler sind als Eroberer
tief ins Gebiet der Industrie gedrungen und es ist ver-
ständlich, dass die Industriellen und Händler sich nun
weigern, die Kriegssteuer zu bezahlen. Uber das Prin-
zipielle des Falls wird noch zu sprechen sein. Vorläufig
sei nur dieThatsache unterstrichen, dassderUnternehmer
vom „freien Spiel der Kräfte" und von „freier Konkur-
renz" nur deklamiert, wenn er den Untergriff hat, dass
er aber gleich nach Regierung und Polizei ruft, wenn
er im regulären Kampf zu unterliegen droht.

*

DerZufall führte mich zu einem Hause, woHermione
von Preuschen einhundertunddreissig Bilder ausgestellt
hatte. Ein Riesenplakat: Indien! Zuerst glaubte ich, es
sei dort etwas Bajaderenhaftes oder Kinematographi-
sches zu sehen. Dann fiel der Blick auf den Namen
der ungerecht verfolgten Königin von Sizilien. Wie
Gobbo Lanzelot (da wir einmal bei Shakespeare sind)
stand ich da. Der brave Instinkt sagte: reiss aus, lauf
davon; der vom Redakteurgewissen kräftig sekundierte
Verstand sagte: nein, hüte dich, laufe nicht. Dieser
Verstand machte geltend, Hermiones Malerei wäre von
den meisten Zeitungen unserer erleuchteten Kapitale
recht gut rezensiert worden und die Künstlerin werde
allgemein als Eine geschätzt, die das „Banner des Idea-
lismus" hochhält. Und so siegte die Ehrfurcht vor der
Presse und der alte Betrüger Verstand.

O, mein prophetisches Gemüt! Für fünfzig Reichs-

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