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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 9
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0397

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pfennige durfte ich nicht nur das Gros Bilder und die
„atelierartige" Ausstattung schauen, sondern auch eine
Dame, die in indischen Gewändern königlich in den
Räumen einherwandelte. Die Priesterin der Kunst in
Person. Es war eine furchtbare Viertelstunde: eine
„Kunst", um Cholera zu erzeugen, ein „Idealismus",
der auf die Eingeweide wirkt.

Warum überhaupt davon gesprochen wird? In den-
selben Zeitungen, wo diese feminineSudeleigeduldetoder
gar gelobt wird, trifft wohlfeiler Spott das grosse Wollen
wirklicher Könner, treffen Worte heiliger Entrüstung oft
bedeutende Künstler. Und Hunderttausende glauben dort
das Lob und hier den Tadel. Hier wie dort im Namen
der deutschen Idealität und der vaterländischen Kultur!

Die Stadt Spandau will, wie gemeldet wird, 1700
Morgen ihres Waldgebietes an eine der grossen Terrain-
gesellschaften verkaufen, die fabrikmässig Villenvororte
anlegen. Wenn das zur That wird, so haben wir wieder
ein neues Beispiel eines fast verbrecherischen Mangels
an Verantwortlichkeitsgefühl. Künstler und Organisa-
toren, denen die Anlage von Vororten und Kolonien
(diese wichtigste Aufgabe der Stadtkommunen) anver-
traut werden könnte, haben wir schon genug; sie altern
unbeschäftigt dahin, weil die Behörden es vorzieher,
den Spekulanten Arbeiten zu überlassen, die ihnen
höchsten Ruhm bringen würden, wenn sie es verständen,
sich zu Bauherren grossen Stils zu machen. Vielleicht
war keine Zeit so reich an grossen Architekturaufgaben
wie die unsere; und vielleicht nie ein Geschlecht so klein
und arm wie das, dem diese Aufgaben anvertraut sind.

Beerbohm-Trees Berliner Gastspiel hat für manches,
was im Märzheft dieser Zeitschrift über das Bühnen-
problem gesagt wurde, Bestätigung gebracht. Überall
ein Drang zum Stil; überall aber auch Beharren im grob
Ausstattungshaften, Pantomimischen, Melodramatischen.
Höheres Variete! Stilreinheit und Stilgrösse, wie Paul
Ernst, Martersteig, Behrens und Appia sie hier for-
derten, sind vielleicht nur zu erreichen, wenn die Tra-
gödienbühne dem Geschäftsbetrieb entzogen wird.
Jede Stadt müsste ihr Bayreuth, ihr Festspielhaus
haben. Dann erst kann, was auch Tree nun als Re-
gisseur leise andeutete, konsequent entwickelt werden.
Immerhin war bei den Engländern von Regisseuren,
Theatermalern und Veranstaltern von Schau- und Sing-
spielen manche Anregung zu holen. Reinhardt hat
hoffentlich wie in einem Spiegel die Gefahren erkannt,
die auch seinem Wollen drohen. Was er will, oder doch
zu wollen verpflichtet ist, heisst Stil; was Tree uns dar-
bot, war eine freundliche Jahrzehntmode, entstanden
im Zeitalter sentimentalischer Kunstromantik und eines
allgemeinen Dranges zu jenem „Gesamtkunstwerk", das
sich nur im Kunstgewerblichen verwirklichen lässr.

Moderne Illustratoren von Hermann Ess-
wein. — München, R. Piper & Co.

Der Text zu diesen Bänden hätte sich auf kurze sach-
liche Einleitungen, einfache Auseinandersetzungen und
bündige, kritische Würdigungen beschränken sollen. Dies
ist jedoch nicht geschehen. Die vorliegenden Bände
bieten uns Essays, die feuilletonistisch, ich meine, tech-
nisch nicht genügend einsichtsvoll sind; und zu gleicher
Zeit sind sie nicht amüsant genug. Sie geben mithin keine
eigene Kunst; geben auch, wie der Verfasser selbst an
irgend einer Stelle gesteht, keine Charakteristik. Sie
sind geschrieben in einem fast irritierenden Ton von
fortwährendem Enthusiasmus; vergebens aber sucht man
nach einer künstlerischen Analyse, nach guten, klaren,
erläuternden Vergleichen, nach einem Streben, die
Stellung dieser Persönlichkeiten in der Kunst unserer
Zeit überhaupt festzustellen. Die modernen Illustra-
toren sind hier zum Vorwurf einer schwerfälligen
Plauderei und zuweilen sogar einer Litanei geworden;
alte beschränkte Dummheiten, welche einmal über sie
gesagt worden sind, und die keinen vernünftigen Men-
schen interessieren, dienen dem Autor zum Vorwand,
damit er seine eigenen liberaleren aber unklaren Betrach-
tungen umständlich äussern kann; er ist weit davon
entfernt, eine unbefangene Anschauung der Gegen-
stände an sich zu haben.

Zum Beispiel der Aufsatz über Lautrec: der Ver-
fasser zankt sich sehr umständlich, freilich nicht ohne
Recht, und manchmal nicht ohne Geist, solange mit den
hausbackenen Gegnern der Dekadencekunst herum, bis
der ungeduldige Leser, der sich darauf gespitzt hat,
etwas über den Künstler selbst zu lernen, sich fragen
darf: ä quoi bon tant tourner autour du pot? Gelangt
er endlich zur Arbeit Lautrecs, so werden die körper-
lichen Fehler des genialen Zeichners und deren Einfluss
auf sein Temperament, mit grossem Umschweif und
belletristischer Vorliebe zitiert, doch die Totalerschei-
nung dieser Kunst, wie sie sich doch der des Degas und
Forain logisch anschliesst, bleibt im Nebel. Und den
Betrachtungen über Heine geht ein weitschweifiges
Räsonnieren voraus, wobei der Impressionismus, ganz
unnötigerweise, übel wegkommt, ein Räsonnieren, das
wenig mit Heine zu schaffen hat. Cornelis Vei;h.

Als letztes Heft der Sammlung „moderner Illu-
stratoren" ist inzwischen ein Beardsleyband erschienen.
Auch für diese Arbeit des ernst um Erkenntnis ringen-
den Autors trifft zu, was Cornelis Veth von den andern
Bänden schreibt. Eine grosse Arbeit ist verschwendet,
weil das Resultat dem Leser nicht lebendigen Nutzen
bringt. Und dem Autor auch nicht; denn dieser ist ja
selbst immer sein erster Leser. Der Fehler dieser Ge-
samtpublikation ist ein Dispositionsfehler. Esswein wird
hoffentlich bald mit anderen Arbeiten seine unzweifel-
haften Qualitäten besser ins Licht zu setzen wissen. —

K. S.

FÜNFTER JAHRGANG, NEUNTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 22. MAI. AUSGABE AM VIERTEN JUNI NEUNZEHNHUNDERTSIEBEN
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN; IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER,
__GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.

WIEN I.
 
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