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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Der ungezogene Onkel
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Poetische Blumenlese
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0129
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zogenen, aber unverdorbenen Herzen vorging; er-
ging auf seinen Neffen zu und nahm ihn bei der Hand.
„Du siehst, daß wir Beide Geduld und Nach-
sicht bedürfen," sagte er in gütigem Tone; „wir
wollen das Vergangene vergessen und es in Zu-
kunft besser zu machen uns bestreben. Komm, deine
Mutter, das eigentliche Opfer unserer Streiche, um
Verzeihuug zu bitten."
„Nein, nein!" schluchzte August erweicht; „ich
alleiu bedarf der Verzeihung ; ich begreife jetzt Alles.

Sie wollten mich durch ein abschreckendes Beispiel
bessern, meine Mutter und ich müssen Ihnen dafür
danken."
„Stattet Euren Dank bei Lykurg ab," sagte
der Oukcl lächelnd; „er ist der Erfinder dieses
Mittels. Um die jungen Spartaner vor der Völ-
lerei zu bewahren, zeigte er ihnen Sclaven in be-
trunkenem Zustande: ich ahmte ihm nach und ließ
dich an einem Andern die Fehler und Mängel sehen,
von denen ich dich heilen wollte."


poetische L 1 u m e n l e s e.
Für das Gemüth.

Wia magst denn um Gotllswillill a goor a so sein?
Bayerische Gebirgsmundart.
Da Bua steigt von'n Berg'n, in'n Hoangosten z'geh'n,
Schorf streichen dö Wind, aba's Wegerl is schön;
Er juchazt von Weiten der Sennahütt'n zua
Pfeift lusti sein Liederl und schnockelt grod gnua!
Jezt kimb a an's Stollthürl, 's is offen, — er loost,
Ob d'Dirn eppa melkt, obs' am Plan is und groost!
Schau, richti, da stehts', aba sokra! dear Staat!!!
'S is heut' doch nit Sunnta, koa Schutzpatron g'rad??
Er schleicht si stat eina: »Noo Kathei! Grüaß Gott! —
Was is? —> du verschrickst! Wirst in G'sicht völli roth!
Schlogst d'Aug'n auf'n Boden, als schämest di fein —
Wia mogst denn um Gott'swill'n a goor a so sein.
Die Dirn sagt koa Wort, siecht 'n Buabina not oon,
Am Back'n schleicht stat ihr a Tröpferl davon,
Da Godel brüllt laut, draht sein Kopf zua ihr rum,-
'N Buab'n wird's ganz ent'risch, er is völli dumm!
Ihr blumater Kittel, ihr Fürta von Seid'n,
Ihr Spenza von Sammt und ihr G'sicht wia'na Kreid'n, —
Do geht ihm a Liacht auf, do hat er's scho g'seg'n,
Do giebt's ihm an Stich und um d'Liab' is a g'scheg'n!
Dös san solch'ne Tag, wo Oan d'Sunn' nimma lacht,
Wo Oan's Glück im Davongeh'n a Grimass'n noch macht;
Do kunnt ma da Menschheit in's G'sicht eina schrein:
Wia mogst denn um Gott'swill'n a goor a so sein!?!
G. Wöhrn.
Anmerk. Hoangosten, Heimgarten, auf Besuch ; sch nocketn, mit
den Fingern schnalzen; loost, horcht; Plan, Wiese; groost, grast; stat,
langsam; ent'risch , unheimlich; Kitte l, Oberkleid; Fürta, Schürze.

L i e lP in den Tod.
Schwäbische Mundart.
Uffem Kirchhof, am Chor,
Blüeht e Blo-Holder-Strauß,
Do fliegt e weiß Tauble
Vor's tage thuet, 'raus.
Es streicht wohl e Gassele
Nieder und zwue,
Es fliegt mer in's Fenster,
Es kommt uf mi zue.
Jetz siehni mein Schatz
Und sei linneweiß G'wand,
Und sei sicheres Ringle
Von mir an der Hand.
Es nickt mer en Grueß,
Setzt se nieder am Bett,
Frei luegt mer's in's G'sicht,
Aber a rüehrt me's net.
Drei Woche noch Ostern,
Wenn's Nachthüele schreit,
Do mache mer Hochzig,
Mei Schatz Hot mer's g'seit.
Fei still ist mei Hochzig,
Mer halte kein Tanz.
Wer goht mit zur Kirchen?
Wer flicht mer de Kranz?
Eduard Mörike.
Anmerk. Blo-Holder, blauer Hollunder, Syringenbusch.
Vor'S, bevor cs. Zwue, zwei. Sieh-n-i, seh' ich. Nacht-
hüelc, Nachthühnchcn, Käuzlein. Noch, nach.

-A—

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