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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Diefenbach, Lorenz: Farbenskizzen aus einem neuen Badeorte
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Mühlbach, Louise: Bruder und Schwester
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0205
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151

Adolf sah ihm lachend nach und sagte hörbar
vor sich hin: „Gibt die Wahrheit ein Recht zur
Grobheit?" Zu Johanna gewendet fuhr er sort:
„Auch ich wollte mein Leben an ein Weib setzen,
aber nur weil ich glaubte: Das Leben ist der Güter
höchstes nicht, der Uebel größtes aber sind die
Schulden! Verzeihung, schönste Cousine, auch mei-
ner etwas verspäteten Offenherzigkeit, und Lebewohl
auf immer!" Er grüßte das Brautpaar und alle
Anwesenden mit verbindlicher Miene und ging.
„Gott sei Dank!" sagte Johanna tief aufathmend
zu Ruprecht, der ihre Hand fest in der seinen hielt.

„Endlich ist der lezte Bräutigam des alten Testa-
mentes aus meinen Augen — das neue kommt un-
mittelbar von Gott und duldet keine Einsprache!"
„Und vermacht uns beiden," seztc Ruprecht ihre
Rede sort, „den Himmel auf Erden, ohne daß wir
ihn erst mit langem freudlosem Wallen durch das
Jammcrthal eines in Sündenbckenntnifsen schwel-
genden, zum lebensfreudigen, lcbcnschaffenden Glau-
ben unfähigen Geschlechtes zu verdienen haben. Ich
verlange keine seligere Heimath, als dieses lichte
Stcinachthal, seitdem seine Zauberkraft mir Dich
gewonnen hat und festhält.


Ä rud e r u n d S ch w e st e r.
Novelle von Louise Mühlbach.

I.
Eine Lauernfamilie.
So, Kinder! Laßt uns noch einmal anstoßcn! Es
lebe unser Eduard! Es lebe das Geburtstagskind!
Und der alte Peter nahm sein Glas mit Milch
und ließ es sröhlich an dem Glase seines Sohnes
erklingen. Dann leerte er es auf einen Zug und
nickte der alten Marthe, seiner Frau, welche neben
ihm faß, freundlich zu, und beide blickten dann mit
strahlenden Augen auf den Sohn und die Tochter,
welche ihnen gegenüber saßen an dem weißgescheuer-
ten Tische unter der großen Linde, welche ihr nied-
riges kleines Häuschen beschattete und mit einer
grünen Blätterkrone überraufchte.
Ja, siehst Du, Peter, sagte Marthe, dem Alten
ihre runzlichte, harte Hand auf die Schulter legend,
siehst Du, nun ist Alles cingetroffen, was ich in
meiner Hochzeitsnacht geträumt habe! Wir haben
Haus und Hof, wir sind reiche Leute, denn wir
hungern nicht, und wir haben zwei Kinder, welche
unser Stolz und unsere Freude sind!
Und welche Euch zärtlich lieben! rief die Toch-
ter, indem sic aufsprang und mit jugendlicher Hef-
tigkeit ihre Arme um den Nacken ihrer Mutter schlang.
Ja, gewiß, welche Euch zärtlich lieben! wieder-
holte der Sohn, indem er seinem Vater die Hand
darreichte. Der Alte schlug kräftig ein und in der

Freude seines Herzens sah er gar nicht, daß eine
Wolke die freie, hohe Stirn seines Sohnes beschat-
tete, und daß seine großen schwarzen Augen in einem
düstern Feuer brannten.
Alte, es ist wahr, Du hast Recht gehabt mit
Deinem Traume! sagte er. Reich sind wir gewor-
den, steinreich, denn wir haben da diese zwei Kin-
der, um welche uns mancher König beneiden möchte,
weil er vergeblich den lieben Gott um diesen Segen
bittet. Ach, ach, ich tausche nicht mit ihm, ich gebe
ihm für seine Krone nicht meine Kinder hin!
Ach, und die reichen Leute wissen gar nicht, was
das heißt, seine Kinder lieb haben! sagte die alte
Martha innig. Sie haben niemals nöthig gehabt,
für ihre Kinder zu sorgen, für sie zu darben, für
sic zu arbeiten! Sie haben ihnen immer nur gege-
ben von ihrem Ueberfluß, es hat ihnen das niemals
ein Opfer, eine Entbehrung gekostet! Sie haben
ihre Kinder nicht genährt mit dem Blut ihres Her-
zens, mit dem Schweiß ihres Angesichtes, sie haben
sic nicht getränkt mit ihrer: Thränen und vor Kälte
und Sturm nicht nöthig gehabt, sie an ihrer eige-
nen Brust zu schützen! Nein, nein, die reichen und
vornehmen Leute wissen nicht, was das heißt, seine
Kinder lieb haben!
Wir aber wissen es, Marthe! denn, Kinder,
wir haben schlimme Tage durchgemacht. Als wir
uns hcirathcten, da hatte ich meiner Marthe nichts
 
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