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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Mühlecker, F.: Die Rose von Haschem
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0029
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Dir Nosc von Hoschcm.
Morgenländlsche Erzählung von F. Mühlecker.

Vor dem Zelte des Emirs Abdel Haschem!
wurden die Pferde gezäumt und zum weiten Aus-
zuge vorbereitet. Schweigend harrten die gerüsteten
Genossen des Stammes Haschem, in ihre Burnusse ge-
hüllt, sammt den Sklaven der Erscheinung des Emirs.
Jetzt trat Abdel Haschem unter den Eingang
des Zeltes. Der mit Grau untermischte Bart
wallte ihm beinahe bis zum Gürtel herab, aber
aus den Augen blitzte jugendliches Feuer, und der
weiße Turban beschattete ein Gesicht, das jene aus-
drucksvollen Züge zeigte, welche' das Gefühl der
Würde und das Bewußtsein überlegenen Verstandes
ihren Eignern verleiht. An der Seite hing ihm
das geflammte Sichelschwert und im Gürtel stack
der mit kostbarem Griff gezierte Aatagan.
Eine zartgebaute Frauengestalt, nach morgen-
ländischer Sitte tief in den Schleier gehüllt, hing
an seinem Halse. Es war des Emirs einziges
Kind, seine geliebte Tochter Gülnare.
Die Krieger vor dem Zelte beugten bei dem
Nahen der Tochter ihres verehrten Emirs die Häupter
zur Erde, gleich als wären sie nicht würdig, die
„Rose von Haschem" auch nur in der Verhül-
lung anzusehen.
Keiner hatte Gülnare je schleierlos gesehen,
und doch hieß sie bei dem Stamme die Rose von
Hatchem. Der Ruf von ihrer Schönheit war ans
dem Fraucngemache hinausgedrungen, gleich wie
zarter Blumenduft von den Flügeln des Zephyrs
weithin getragen wird, obschon das Auge die Blume
nicht entdeckt, von der er sich abgelvöt hat.
„Allah schütze dich, mein Vater!" sprach Gülnare
mit bewegter Stimme, „und der Prophet halte sei-
nen Schild über Dich, daß die Geschosse Deiner
Feinde von Deinem Leibe abprallen."

„Allah ist groß, und was er mir bestimmt hat,
das wird mir werden. Ist Alles zum Auszuge
bereit, Achmed?" fragte er einen jungen Mann aus
seinem Gefolge.
Achmed, an den die Frage gerichtet war, er-
wiederte: „Deine Männer harren ans Dich, Herr!
daß Du sie zum Siege führest."
Der Sprecher war von niederer Herkunft, der
Sohn eines Sklaven des Emirs, aber er hatte sich
in den Kämpfen desselben als so muthvoll und ent-
schlossen bewiesen, daß er mit der Freiheit zugleich
dessen vollstes Vertrauen erlangt hatte. Geschickt
in jeder kriegerischen Nebung, leuchtete er allen sei-
nen Altersgenossen voran und hatte sich dadurch
ihre Achtung erzwungen, so wie ihn ihre Liebe ob
seines einfachen und bescheidenen Benehmens be-
lohnte. In den Gesängen der Mährchenerzähler
prangte sein Name neben dem des Emirs, und
manches Auge der Stammcsschönen leuchtete bei
seiner Erwähnung oder bei seinem Anblick mit
höherem Glanze durch die Schleieröffnung. Aber-
Achmed war bis jetzt der Frauenliebe fremd ge-
blieben. Kampf und Sieg war feine Losung, die
Jagd des Wüstenthieres sein Vergnügen gewesen.
Die Jungfrauen des Stammes besangen seine Schön-
heit, verwünschten jedoch fein Diamanthcrz. Aber
für jedes Herz, mag es sich noch so sehr mit win-
terlicher Kälte umgeben, kommt ja dennoch der
Licbeslcnz, der das Harte schmilzt wie Wachs, daß
es weich wird und bildsam wie die herrlichsten
Gebilde.
„Nun lebe wohl, mein Kind!" wandte sich der
Emir zu seiner Tochter, als er Achmeds Antwort
vernommen und mit schnellem, scharfem Blicke die
Anstalten vor dem Zelte überschaut hatte. „Geh'
 
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