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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Mühlbach, Louise: Bruder und Schwester (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0233
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173

Bruder und S ch w c st c r.
Novelle von Louise Mühlbach.
(Schluß.)

IV.
Oer Seußer.
Während der Bruder in Glanz und Ueppigkcit
in der Residenz lebte, gingen für Rnstica die Tage
in Einförmigkeit und Stille hin. Sie hatte mit
einer heitern, lächelnden Ruhe ihr Geschick ange-
nommen, und ein Liefer, heiliger Friede war seit
jenem Tage, an welchem sie freiwillig einer glän-
zenden Zukunft entsagte, über ihr ganzes Wesen
ausgcgosfen. Jener Tag hatte sie gereift und ge-
kräftigt, und aus dem kindlichen, tändelnden jungen
Mädchen war jezt ein thatkräftiges, selbstbewußtes,
stolzes Weib geworden, das mit feiner großen ernsten
Schönheit Jedermann imponirte, und selbst ihren
Eltern eine Art scheue Ehrfurcht einflößte.
Mit nie ermüdendem Eifer, mit rastloser Tä-
tigkeit arbeitete Nustica in Haus und Hof, niemals
hörte man von ihr eine Klage, ein unzufriedenes
Wort, niemals war ihre reine Stirne von einer
Wolke umschattet, oder der Glanz ihres Auges
getrübt. Sie freute sich an jedem Sonnenstrahl
und jeder Blume, sie verstand die so süße, so hei-
lige und sanfte Stimme der Natur, und ihr an-
scheinend so stilles und monotones Leben war für-
ste voll Poesie und Schönheit. Zudem sah sie ihre
Eltern glücklich und zufrieden, sah sie ihr Wirken
gedeihen und Frucht tragen, hatte sie das süße und
lohnende Gefühl redlicher Pflichterfüllung, und
wenn doch zuweilen Seufzer ihren Busen hoben,
und ein feuchter Schimmer ihre Augen trübte, so
trug doch kein Schmerz daran die Schuld, sondern
nur ein süßes, still verschwiegenes Glück. Ein Glück,
welches ihr Herz mit Entzücken und Qual zugleich
erfüllte, und welches außer Gott Niemand ahnen
und wissen durfte,
Wenn sie rastlos und unverdrossen den Tag
über gearbeitet hatte, dann eilte sie am Abend mit
glücklichem, leichtem Herzen hinauf in ihre Kammer,
welche jezt durch die Liebe und Sorgfalt ihrer El-
tern in ein zierliches, behagliches Zimmer umge-
wandelt worden. Da waren ihre großen, edlen

Freunde, ihre Bücher, da war ihr Schreibtisch mit
dem schönen silbernen Tintenfaß, einem Geschenk
der Baronin, und der köstlichen Schreibcmappe,
welche ihr einst der junge Baron als Weihnachts-
gabe dargebracht. Oh, kein Abend verging sonst,
ohne daß Nnstiea an diesem Schreibtische saß, und
mit glühenden Wannen und zitternden Händen
lange Briefe schrieb.^ Ihr Vater hatte sie oft be-
obachtet, wie sie so, beleuchtet von dem Schein der
Lampe, welche vor ihr stand, über ihren Schreib-
tisch geneigt, da saß, er war oft hinaus gegangen
vor die Thür, um hinauf zu sehen zu Nustica's
Fenster, und fein Herz zu erfreuen an dem Anblick
seiner schönen und prächtigen Tochter. Aber seit
einigen Tagen schrieb Nustiea nicht mehr, und ihres
Vaters Augen mußten das liebe Bild entbehren,
mit dem er sich sonst immer so freudig und still
beseligt zu Bette legte. Nustica schrieb nicht mehr,
sie las nicht mehr in ihren Büchern, sie war stiller
und sinnender wie sonst, und doch leuchtete aus
ihren Augen eine tiefe Freudigkeit und ein geheim-
nisvolles Glück. — Niemand fragte sie nach der
Ursache ihrer veränderten Lebensweise, Niemand
folgte ihr, wenn sie beim Aufgang der Sonne das
Haus verließ, und mit eiligem Schritt durch den
Garten und über das Feld hineiltc nach dem Walde
dort drüben, in dessen dunklen Schatten sich als-
dann ihre schöne, stolze Gestalt verlor.
Auch heute hatte sich Rustiea in der Frühe des
Morgens von ihrem Lager erhoben, und nachdem
sie hastig sich angcklcidet, war sie leisen Schrittes,
um ihre schlnmmcrnden Eltern nicht zu stören,
hinunter geeilt in den Garten. Es war ein wun-
dervoller Sommermorgcn, der Thau lag noch in
dem Kelche der Blumen, und die Sonne machte
aus seinen Hellen Tropfen funkelnde Diamanten,
die Lerchen schwirrten in der Luft und sangen ihre
entzückten Jubelhymnen, eine unendliche, selige
Stille, ein köstlicher Friede lag über der Natur
ausgebreitet. Rnstica nthmetc in langen, vollen
Zügen diese erquickliche Morgenluft ein, und stand
 
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