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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Diefenbach, Lorenz: Farbenskizzen aus einem neuen Badeorte
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Farbenskhzen aus einem neuen Badeorte.
Von Lorenz Diesenbach.

Kein reizenderer und glücklicherer Ort im weiland
römischen und künftig deutschen Reiche, als Hall
am Stein! Das betriebsame Städtchen liegt zwar
nicht unmittelbar an der neuen Eisenbahn, hat aber
den größeren Vorthcil, nur eine Meile von dieser
Weltverbindungsstraße die ruheverheißende Abge-
schlossenheit eines lieblichen Thales zu bieten, aus
welchem eine vortreffliche, mit Obstbäumen besezte
Landstraße bis zur Eisenbahn führt. Wer von lez-
terer kommt, erblickt schon lange, bevor die Thal-
windung ihm die Stadt selbst enthüllt, den hohen
„Stein", welcher zugleich mit ihren alten Salz-
hallen ihr den Namen gab.
Die Burg auf feiner Spitze war in ihrer Blüthcn-
zeit ein Schrecken für den Wanderer, wie später in
ihren Trümmern eine Augenweide, seitdem das kai-
serliche Recht das adelige Unrecht durch Mauerbrecher
und Pechkranz züchtigte. Erst in neuer Zeit, in
welcher das Unrecht, wie das Recht der Alten —
Gott sei Dank, und leider! — zur Sage verschollen
ist, wurde ein Theil der Burg wieder aufgebaut.
Ihr sinniger Besitzer hat gerade so viele Trümmer
als solche stehen gelassen und sogar noch befestigt,
daß der Reiz des verwitterten Alterthums und der
neuerstandenen Bauten und Anlagen durch die Wech-
selwirkung erhöht wird, und daß die Einbildungs-
kraft des Beschauers sich in eine romantische Vorzeit
zurückträumen kann, die eben nur im Reiche des
Gedankens ein Dasein hat.
Wie herrlich ist der Sommermorgen da oben!
Im Thale lagern noch die Schatten und werden
dichter, indem wir in den Tannenwald eintreten,
der uns bis nahe an die ausgedehnte Felskuppe
und das auf ihr stehende Schloß führt. Dort aber
empfängt uns schon die herzerfreuende Strahlcnfülle
der Frühsonne; das Leben beginnt hier täglich früher,
als in den niederen Menscheubehausungcn.
Wir setzen uns nieder, blicken und horchen um-
her. Ein leiser Hauch aus unsichtbarem Munde
berührt uns wohlthuend und weckt ein wunderbares
Getön, unter uns in den Tannenwipfeln, über uns
in den Aeolsharfen, die auf den Burgzinnen ver-

steckt sind. Dazu rauscht der Wasserfall, der ungefähr
in der Mitte des „Steins" aus reicher Quelle
strömt und alsbald, durch einige Zuflüsse verstärkt,
die das ganze Thal durchfließende Steinach bildet.
Lauteren Schall läßt anfangs nur die Frühmette
der Vögel vernehmen, nach und nach aber auch der
vielstimmige, darum aber nicht immer harmonische
Chor der sogenannten vernunftbegabten Wesen.
Das Städtchen unter uns erwacht, und bemerkt
nicht, daß wir ihm fast aus der Vogelperspektive
zuschcn. Wenigstens das Pärchen, das sich bei der
Frühkur warscheinlich nur „ganz zufällig" am Brun-
nen begegnet ist und nach prüfendem Umblicken auf
dem noch leeren Platze in die beschatteten Anlagen
eintritt, ahnt gewiß nicht die Zeugen seines glück-
lichen Augenblickes, in welchem cs Hand in Hand zu
legen wagt.
Vor wenigen Jahren war Hall noch kein Kur-
ort, und seine sonstigen Vorzüge nur erst von We-
nigen gewürdigt, als ein genialer junger Arzt,
Doktor Ruprecht, der Entwickelung und Aner-
kennung dieser Vorzüge die umfassendste und er-
folgreichste Thätigkeit widmete. Er veranlaßte die
Kapitalisten in Stadt und Umgegend zu einer Ac-
tienunternehmung, die zuerst ein Soolbad und eine
Kaltwasseranstalt gründete und bald darauf von der
günstigen Natur die Prämie eines Sauerbrunnens
erhielt. Ruprechts eifrigem und sachkundigem Suchen
verdankte die Stadt diesen Fund, und nannte ihn
dankbar nach feinem Namen. Der Pnthe wußte den
Täufling, wie dessen süße und salzige Sippschaft,
zu Ehren zu bringen. Er schilderte in Brochuren
und in Zeitungen die ästhetischen und heilkräftigen
Gaben des Stcinachthales und lud zu ihrem Genüsse
Kranke und Gesunde, zu zeitweiligem, wie zu dauern-
dem Aufenthalte ein. Für Leib und Seele war hier
reichliche Sorge getroffen und Natur wie Kunst in
Dienst genommen. Bäder und Trinkhallen für drei
natürliche und zahllose künstliche Wasscrarten, für
Milch, Molke, ml libilum Wein, Bier, Eider, Mai-
trank das ganze Jahr hindurch — Casino, Lesekabi-
nct, Liebhaberthcater als Vorgänger bedeutenderer
 
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