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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag
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Poetische Blumenlese
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0165
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um ihn mit einem Stückchen Kuchen zu beschenken,
das sie selbst sich am Nachtische erspart hatte, und
wosür sie auch nicht einmal Dank empfing, da der
Beschenkte es viel zu eilig hatte, sein Glück trium-
phirend seinen Spielgenosien mitzutheilen — nach-
dem sie endlich noch die Hühner zu Suppe zuge-
setzt und die Pastete ausgebacken und weggestellt
hatte — blieb ihr immer noch ein Stündchen übrig,
das sie dem Geburtstage zu lieb in stiller Ruhe
zubringen konnte.
Sie gab dem Küchenmädchen Weisung, wo sie
zu treffen wäre, im Falle man ihrer bedürfte, und
ging hinab in den an's Haus stoßenden Garten.
Hier neben dem stillen und so heiteren, harmlosen
Blumenleben war's auch in ihrem Gemüthe so oft
stille, ja harmlos geworden, wenn noch eben zuvor
der heftigste Schmerz darin gewühlt hatte.
Sie begrüßte wehmüthig all' ihre Lieblinge;
heute wollte die unschuldsvolle Heiterkeit dieser lieb-
lichen Blumengesichter keinen Widerschein in ihrer
Seele wecken. Sie hatten gut blühen, diese Blu-
men; was sie bedurften, um sich heiter zu entfal-
ten, das hatten sie: Licht, Luft und sorgliche Pflege.
Sie selbst aber kam sich vor, wie in einen Winkel
gepflanzt, worin kein Sonnenstrahl sie berührte
und Niemand der Pflege sie Werth hielt. Sie sczte
sich in die blühende Jasminlaube, vor deren Ein-
gang ein Rondell auserlesener Rosen in der ersten
Blüthe prangte. Durch die Zweige der Laube sah
man die Albkette aus blauer Ferne herüberschim¬

mern; im anstoßenden Felde aber jubelte noch eine
späte Lerche, und nah und fern zirpten die Grillen.
Es war solch' ein schöner Abend, und doch war
sie so einsam! All' die Ihrigen waren heute so
glücklich — aber keines derselben bedurfte ihrer zu
feiucm Glück. Wieder trat ihr das Bild der Ver-
lobten vor Augen, wie sie dieselben hatte einstei-
gen gesehen; sie beneidete Ida nicht; sie freute sich
selbst über deren Glück und hätte für sich selbst
nicht einmal nach einem solchen verlangt, insofern
es mit einem Justizreferendär von hohem Wüchse,
eleganter Erscheinung, feinem Gcsellschaftston und
vornehmen Verbindungen zusammenhing; aber ihr
Leben lang zu wissen, daß sie Niemanden zu feinem
Glücke nothwendig war; ihr Leben lang den Sonnen-
schein, den Blüthendnft und Lerchensang einsam ge-
nießen zu müssen —das war traurig! Mit inniger
Wehmuth blickte sie zum Abendhimmcl empor, wo
die Wolken roth und golden glühten. Sie dachte
ihrer verstorbenen Mutter. Diese vielleicht würde
ihr Kind geliebt haben; sie hatte an diesem Tage
vor so vielen Jahren sich über das Dasein des
kleinen Wesens gefreut, es mit Blicken mütterlicher
Wonne gesegnet! Ach, sie war längst todt, und
kaum konnte Marie ihrer noch aus früher Kindheit
sich erinnern. Die glühenden Wolken blickten sie
jezt an wie ein Gruß aus der ewigen Heimath;
dort einst war sie nicht mehr einsam; aber wie lange
noch bis dorthin?
(Schluß folgt.)


poetische ölumentrse.
Für das Gemüth.

Der alte Thur mH ahn.
Stillleben. *)
Von Eduard Mörike.
machen unsere freundlichen Leser darauf aufmerksam, daß der
geistreiche Herr Verf. hier den »Thurmhähiw selbstredend auftreten läßt
und daber (der Hahn ist IlZ Jahre alt) die Dichtershrache der ersten Deeen-
nien des vorigen Jahrhunderts wählt, deren populäre Lieblichkeit die poe-
tische Erzählung mit dem eigenthümlichen Reize der Vergangenheit nber-
gießt, welcher, richtig angewandt, noch so manchem Dichter der Neuzeit
zur Zierde gereichen dürfte. Die Red.)
Zu Cleversulzbach im Unterland
Hundert und dreizehn Jahr ich stand,

') Die Anekdote, auf die sich dieß kleine Gemälde bezieht, kann der
Verfasser verbürgen- Der Hahn ist noch in seinem Hause zu sehen.


Auf dem Kirchenthurn ein guter Hahn,
Als ein Zierrats) und Wetterfahn.
In Sturm und Wind und Regennacht
Hab' ich allzeit das Dorf bewacht;
Manch falber Blitz hat mich gestreift,
Der Frost mein' rothen Kamm bereift,
Auch manchen lieben Sommertag,
Da man gern Schatten haben mag,
Hat mir die Sonne unverwandt
Auf meinen goldigen Leib gebrannt.
So ward ich schwarz für Alter ganz,
Und weg ist aller Glitz und Glanz.
 
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