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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0164
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sie betraf, für irgend Andere nie von Interesse
sein könne. Daran waren die Andern nicht Schuld;
auch sie selbst nicht! es war eben einmal so; aber
es that ihr doch weh, daß es so war!
So übel dieß Geständniß auch immer klin-
gen mag, und so sehr zu befürchten steht, daß durch
dasselbe alles Interesse, das die Beschreibung der
jungen Dame mit dem seinen Wuchs und dem
Rosascidcnklcid der Erzählung erweckt haben möchte,
ihr jezt unwiederbringlich verloren gehe — so kann
cs denn doch dem Leser nicht vorenthalten werden,
daß cs Mariens sicbenundzwanzigstcr Geburtstag
war, der heute — nicht gefeiert wurde.
Was ferner ihre Ansprüche auf Schönheit be-
trifft, so hätten dieselben gewiß nie die Lorgnette
eines Studenten oder Lieutenants in Bewegung ge-
setzt. Nur die Baucrnwciber aus dem Wochen-
markte, die in Hinsicht des Geschmacks und ästheti-
scher Bildung nun freilich völlig vernachlässigt waren,
schienen besonderes Gefallen an ihrer Gcsichtsbil-
dung zu finden, und pflegten sie im Vorübcrgehen
immer anzurusen: „Handle Sic mit mir, Jungfer!
Sie wird nicht unbillig sein, und mich auch nicht
unrecht finden!" Mit diesen Weibern sympathisier-
ten die Kinder, deren Urthcil freilich eben so wenig
gebildet war; denn wo Marte zu ihnen kam, woll-
ten Alle ihr die Händchen reichen.
Der gebildetere Theil der Gesellschaft dachte
freilich anders. Wenn auch Niemand etwas wider
das sauste, stille Wesen hatte, so wußte dieß doch
Niemand für sich einzunehmcn. Wenn es Marien
auch an Gedanken nicht fehlte, so mangelte ihr ganz
die Fähigkeit, diese mitzuthcilcn; und obwohl sie keine
Harmonie von Tönen hören konnte ohne innere
Bewegung, und oft bis tief in die Nacht der Flöte
des Kanzleigehülsen Maier lauschte, um darüber zu
vergessen, daß diese Welt keineswegs ein Ort un-
getrübten Glückes, und daß insbesondere ihr selbst
nur ein kleiner Theil desselben beschicken sei; —
so hatte sie doch nicht die mindeste Ahnung von
musikalischer Bilduug, und hätte das Lied „Mo-
zart als Tausendkünstler" mit dem andächtigsten
Ernste anhören können, ohne von ferne an einen
Scherz hiebei zu denken. Von anderen schönen
Künsten hatte sie wohl noch weniger einen Begriff;
ein angeborener Schönheitssinn nur zeigte sich in
den unbedeutenden, häuslichen Anordnungen und
in ihrer Neigung zur Blumenpflcge, dem ein-

zigen Vergnügen, dem sic mit wirklichem Eifer
sich hingab. Zu einem natürlich innigen und zar-
ten Gemüthe gesellte sich nun im Bewußtsein ihrer
Mängel eine Schüchternheit, welche ihr alles Ver-
gnügen eines geselligen Umgangs raubte. Im häus-
lichen Kreise aber ward ihr auch nicht Wohler; die
Oberamtmännin war gewiß nichts weniger denn
eine übelwollende Frau, im Gegentheile als eine
lebhafte und angenehme Gesellschafterin allenthal-
ben beliebt. Aber eben in bester Meinung hatte
sie an Marie so viel zu bilden, daß sie wohl deren
Bildungsfähigkeit und ihre eigene gute Laune zu
Grunde gerichtet haben würde, wenn nicht das Her-
anwachsen ihrer eigenen Tochter sie bewogen hätte,
diese undankbaren Versuche auszugcben, und die
kleine Ida um so mehr nach ihrem Sinn zu erziehen.
Marie wurde nun verschont; aber dieß war auch
Alles; sie und die Mutter blieben sich völlig fremd
ja Marie fühlte, daß die Mutter sie stets mit einem
gewissen Mißbehagen betrachtete; als ein Wesen,
dessen Art, zu sein, der ihrigen ganz entgegenge-
setzt war.
Was ihren Vater betraf — so war er Ober-
amtmann! Dieß war an und für sich genug, um ihn
dem schüchternen Kinde ferne zu halten, dazu trat aber
noch der andere Umstand ein, daß im Hause die
Frau Oberamtmännin die Herrschaft führte — in
der löblichen Voraussicht ohne Zweifel, daß der
Oberamtmann desto eifriger seinem amtlichen Wir-
kungskreis volle Aufmerksamkeit zuwendcn werde.
Da er aber diese Thatsache um so mehr zu ver-
bergen suchte, je weniger sie ihm unbewußt bleiben
konnte, so Pflegte er der Frau Obcramtmännin im-
mer zuvorznkommen und mit freiem Willen so zu
thun, wie er hiutcnuach auch unfreiwillig doch hätte
thun müssen. Darum zeigte er sich härter gegen
Marie, als die Stiefmutter selbst cs that.
Nach all' diesen Verhältnissen war es der guten
Marie, obwohl sic ein warmes Gcmüth hatte, doch
willkommen, den Geburtstag so einsam zubringcn
zu können. Sie besorgte, was zu besorgen war,
aber nachdem sic die Zimmer in Ordnung gebracht,
die Speisereste aufgehoben, und eine arme Sand-
verkäuferin mit kräftiger Suppe sammt Fcisch er-
quickt hatte, ohne über deren Würdigkeit und Be-
dürftigkeit irgend eine Garantie zu haben, als den
Hunger, der aus deren Antlitz schaute; — nach-
dem sic des Amtsdiencrs kleinen Knaben gerufen,
 
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