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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Bauer, Ludwig: Erinnerungen aus der Kindheit (Schluß)
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Pichler, Louise: Der Verlobungstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0161
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schöpfen: begleite mich nicht! hier, an dieser mir
heilig gewordenen Stätte wollen wir uns Lebewohl
sagen!" Damit bot sie ihm selbst die Lippe zu einem
innigen Kuß, uud wandelte in den Hintergrund
des Thales: noch ein letzter, feuriger Blick, in
dem ihre ganze Seele lag, und ihre freundliche
Gestalt war verschwunden. Ihn aber durchfuhr
ein zuckendes Gefühl, als sei mit ihr die Sonne
des Glücks, ja, selbst das milde Licht der Hoff-
nung für ihn verschwunden. Lang vermocht' er
sein Auge nicht von der Stelle loözureißcn, wo er
sic zuletzt gesehen hatte, und als er widerstrebend
den Rückweg antrat, wollten den kräftigen Jüng-
ling kaum die Füße tragen, und Zeitlebens blieb
jener Augenblick und jenes Plätzchen in der Ein-
back) die schwermüthigc Heimath seiner Träume.
Da Karl seiner Schwester Eleonore beim Ab-
schied das Geheimnis mitgetheilt hatte, so genoß
Hildegard hie und da des Glückes, ihre Empfin-
dungen in ein verwandtes, tieffühlcndes Herz zu
ergießen. Auch langten bald nachher Briefe aus
London an. Sie waren Mittlern Inhalts: ein letz-
ter Wille hatte sich nicht vorgefunden, wohl aber !
ein ansehnlicher, mit Karl's Namen überschriebener >

Geldbetrag, zum Hochzeitsgescheuke für den gelieb-
ten Sohn bestimmt. Hiemit richtete sich Karl als
Zuckerbäcker ein, und hoffte sein Geschäft bald in
Schwung zu briugen. Da führte Napolcou die
Festlandssperrc durch: jeder Verkehr mit England
wurde abgeschnitten: weder Karl, noch Briese von
seiner Hand konnten das Fränkische erreichen. Schon
vorher aber war die von Hildegard gefürchtete
Umwandlung aller Verhältnisse ihrer Heimath vor
sich gegangen. Ein zwiefacher Gram zehrte an
ihrem Leben, und im Jahre 1810 sank sie in ein
frühes Grab. Vier Jahre später fand Eleonore,
als sie den Eltern einen Besuch abstattcte, ihren
Karl aus England zurückgckehrt. Mißgeschicke hat-
ten sein Geschäft gekreuzt: aus Vcrzwcifluug war
er einer englischen Flotte als Schiffsbäcker gefolgt,
und erfror beim Ncbermuntern an der Küste Ruß-
lands seine Glieder. Von da an siech und küm-
merlich in London lebend, benützte er, sobald das
Sperrwesen aufhorte, die erste Gelegenheit, mm
dem elterlichen Hause zuzueilen. Es fügte sich,
daß ein Paar Tage nach ihm Schwester Lene mit
ihrem Manne eben dahin kam, und wenige Wochen
darauf endete diese an einem Fieber, Karl an der
Auszehrung, und fanden im Heimathsorte neben
einander ihre Ruhestätten.


Der Nerlolmngstag.
Skizze aus dein schwäbischen Familienleben
Louise Pichler.

Eine lebhafte Bewegung war im Hause des
Oberamtmanns.
Die Verlobung seiner jüngern Tochter, des ein-
zigen Kindes aus zweiter Ehe und der schönsten
Blume des Städtchens, sollte feierlich begangen
werden.

Zwar schon vor acht Tagen hatte der Bräutigam,
ein Herr Justizrefercndär von Auen, sich erklärt
und das „Ja" der hübschen, erröthenden Ida mit
der gewichtigen Zustimmung der Eltern davon ge-
tragen. Da er aber ein „von" bei seinem Rainen
und glänzende Aussichten in die Zukunft hatte, so

*) Im Hinblick auf die vielen, theilweise blasirten, theilweise krankhafter Phantasie entsprungenen Erzeugnisse der neuern
Novellenliteratur, ist es sehr erfreulich, auch je zuweilen einer wahren, tiefgefühlten Schilderung des Lebens, wie es wirklich
ist, zu begegnen. Ob dies in vorliegendem Familienbilde, aus jugendlicher Feder frisch und lebenswarm geflossen, der Fall
ist, können wir füglich dem eigenen Gefühle unserer werthen Leser überlassen und wünschen nur, die anspruchlose und doch
tiefdurchdachte Einfachheit des Bildes möge auch überall das rechte Verständnis finden. Die Ned.
 
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